Wer isst, ist politisch

Evangelischer Rundfunkgottesdienst
Wer isst, ist politisch
Gottesdienst aus der Christuskirche Hennef
07.10.2018 - 10:05
20.06.2018
Frank Küchler
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst zum Erntedank am Sonntag, 7. Oktober 2018 aus der Christuskirche Hennef live im Deutschlandfunk um 10.05 Uhr

 

Am Erntedankfest geht es im Gottesdienst aus Hennef um das Essen. Der Apostel Paulus schreibt an seinen Mitstreiter Timotheus: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Wir können es dankbar annehmen. Wenn wir danken, zeigen wir: Es kommt von Gott. Aber wie Menschen in Gottes Schöpfung leben hat sich verändert seit biblischen Zeiten. Es gibt Gewächshäuser und Fleischfabriken. Die meisten kaufen im Supermarkt ein. Erntedank feiern heute - wie geht das? Dankbar sein - und doch bewusst einkaufen und essen. Frei sein - und doch fragen, was am Ehesten dem christlichen Glauben entspricht. Pfarrer Frank Küchler regt in seiner Predigt an, über eine freiwillige Selbstbeschränkung nachzudenken. Er wirft einen kritischen Blick auf den Umgang mit Tieren und meint: Es ist keine Privatsache, was wir essen. Was wir als Verbraucher einkaufen, hat Folgen: „Wer isst, ist politisch.“

 

Die Stadt Hennef liegt an der Sieg, östlich von Bonn, zwischen Bergischem Land und Westerwald. Zur „Stadt der hundert Dörfer“, wie Hennef gerne genannt wird, gehören tatsächlich über hundert Ortschaften, die Gegend ist von der Landwirtschaft geprägt. Die evangelische Kirchengemeinde lädt am Sonntag in die Christuskirche ein, die in der Innenstadt liegt. Der Gottesdienst zum Erntedankfest wird musikalisch gestaltet von Eckart Brüntjen an der Orgel sowie Friederike Wolfframm, Flöte, und Hartwig Wolfframm, Cello. Pfarrer Frank Küchler führt auch durch die Liturgie.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft und Hilfe des Heiligen Geistes sei mit Euch allen! Hören wir den für das Erntedankfest vorgeschlagenen Predigttext aus dem 1. Brief an Timotheus. Der Apostel Paulus warnt hier seinen Mitstreiter Timotheus vor Leuten, die falsche Dinge lehren und allerlei religiöse Vorschriften machen. Sie verbieten zum Beispiel die Ehe und fordern, bestimmte Dinge nicht zu essen. Paulus widerspricht und meint:

 

„Gott hat sie doch für die Glaubenden geschaffen, die die Wahrheit erkannt haben. Die sollen sie verzehren und Dank dafür sagen.

Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nichts hat er verworfen. Wir müssen es nur in Dankbarkeit von ihm entgegennehmen. Durch Gottes Wort und durch unsere Fürbitte wird es nämlich zu etwas Heiligem.“ (Basisbibel)

 

Liebe Gemeinde, wie schön: Wenn es um das Essen geht, ist mir alles erlaubt. Ich muss auf nichts verzichten. Ich kann alles essen. Es gibt da keine Einschränkungen. So schreibt es der Apostel Paulus an seinen Mitarbeiter Timotheus.

Da ist sie wieder, meine Freiheit als Christenmensch. Sie scheint auch durch diese Textzeilen hindurch.

Und das Beste, was ich da höre, heute, am Erntedankfest: Ich bin für Gott so in Ordnung. Ich brauche keine besonderen Speisegebote zu befolgen. Gott freut sich, wenn ich das, was er geschaffen hat, dankbar annehme und richtig genießen kann.

 

Das stimmt mich allein schon deshalb froh, weil ich gerne esse. Ja, das Essen hat für mich schon einen Stellenwert im Leben.

Und nicht selten freue ich mich so richtig darauf. Ein Essen – ja, das kann für mich schon so etwas wie das kleine Highlight eines Tages sein.

Am allerbesten schmeckt es mir natürlich zusammen mit anderen. Besonders, wenn ich selber gekocht habe und wenn die Gäste zufrieden sind. Und wenn sie das loben, was ich da im Schweiße meines Angesichts gebrutzelt habe.

 

Alles ist erlaubt. Ich muss auf nichts verzichten. Ich kann das essen, was mir schmeckt. Ohne Reue. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne Skrupel. „Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nichts hat er verworfen“ , schreibt der Apostel Paulus.

 

Reh und Hirsch, Gänse und Enten, Schweine, Rinder, Kälber, Puten, Kaninchen, Hähnchen, Schafe, Ziegen, Pferde…

Barsch, Lachs, Stör, Austern und Forellen…

Obst, Gemüse und Getreide, Gewürze und Kräuter.

Weil: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Christen unterscheiden nicht zwischen rein und unrein. Jedenfalls, wenn es um’s Essen geht.

Es ist vielmehr so: Alle Tiere sind rein, weil Gott sie geschaffen hat und sie von ihm herkommen. Es gibt keine unreinen Tiere.

Und: Alle Tiere sind heilig, nicht nur – wie in manchen Kulturen – die Kühe.

 

Weil sie Lebewesen sind und zur Schöpfung gehören, wie wir Menschen auch. Auch Tiere haben eine Würde.

 

Deswegen ist es gut, dass wir hier bei uns keine Stiere zu Tode hetzen. Dass wir keine Hahnenkämpfe veranstalten. Dass wir keine Bären mit einem Ring durch die Nase auf einer heißen Platte zur Belustigung von Zuschauern tanzen lassen.

 

Freilich: Das Schnitzel auf meinem Teller, kann ich nur essen, weil das Bild vom letzten Schweinetransporter, den ich auf der Autobahn überholt habe, aus meinem Gedächtnis fast gelöscht ist.

Das Putenfilet auf meinem Salat kann ich nur verkraften, weil die letzte Fernsehsendung mit Bildern von erschöpften oder halbtoten, gequälten Tieren auf einer Putenfarm schon so lange her ist.

Den Eierpfannkuchen kann ich nur genießen, weil ich weiß, dass die Eier, die mit Mehl, Butter und Milch zusammengerührt sind, von glücklichen Hühnern bei uns aus der Nachbarschaft kommen.

Ja. Alles ist erlaubt. Wir müssen auf nichts verzichten. Da sind wir frei! Und trotzdem spüren viele: So wie wir uns in Sachen Ernährung verhalten, passt das nicht zusammen mit unserem christlichen Glauben.

 

Gut ist aber auch: In den letzten Jahrzehnten ist in unserer Gesellschaft wieder neu das Bewusstsein dafür gewachsen, dass auch Tiere eine Würde haben.

Mag sein, alles ist erlaubt. Aber so, wie wir leben, zeigen wir Menschen nicht immer, dass wir Gottes Schöpfung achten.

Dieses Bewusstsein für Gottes Schöpfung verbindet Menschen miteinander. Das schlägt Brücken zwischen Menschen, die zu einer Kirche gehören und Menschen, die den Kirchen eher fernstehen. Gott sei Dank! Denn die Bewahrung der Schöpfung ist ja etwas, das uns alle angeht. Da sitzen alle im selben Boot!

 

Was bedeutet das für die Art, wie wir leben? Ist es Privatsache, wie ich einkaufe und was ich esse? Wie lebe ich so, dass ich unbefangen dankbar sein kann?

 

 

Es bleibt dabei: Schnitzel, Putenfilet, Kuchen, Sommersalat, mediterranes Gemüse und Kartoffelgratin. Alles ist gut. Und alles ist erlaubt. Und doch ist Essen keine reine Privatsache. Manche meinen: Was ich esse und wieviel ich davon esse, das geht niemanden etwas an.

 

Weit gefehlt! Wer isst, ist politisch. Denn was ich als Verbraucher einkaufe und zu mir nehme, das hat Folgen – nicht nur für mich, sondern auch für andere.

 

Tiere sind zwar juristisch gesehen keine Personen. Sondern Sachen. Aber ihre Heiligkeit, ihre Würde, ist in unserem Land nur bis zu einem gewissen Grad antastbar. Wenn man nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen will. Es ist verboten, Tiere zu quälen. Es gibt tausendundeine Bestimmungen und Regeln, wie Tiere zu halten sind, wie sie zu transportieren sind, wie sie zu schlachten sind und wieviel Antibiotika sie allerhöchstens fressen dürfen. Würden alle diese Bestimmungen wirklich eingehalten, dann wären wir schon einen Schritt weiter!

Gammelfleisch ist verboten. Und wenn rauskommt, dass ein Supermarkt Fleisch verkauft, das abgelaufen ist, dann wird das bestraft. Hygiene wird bei uns ganz großgeschrieben.

Gut, dass es bei uns Tierschützer gibt, die uns daran erinnern, dass Tiere eine Würde haben, weil sie Geschöpfe Gottes sind. Und dass es nicht erlaubt ist, mit ihnen so zu verfahren, wie wir gerade lustig sind.

Gut, dass es bei uns Journalisten gibt, die Skandale aufdecken. Die publik machen, wo die Würde der Tiere mit Füßen getreten wird. Wo Gesetze verletzt werden. Wo nur Geldgier, Expansionsstreben und Rendite Maßstab des Handelns sind.

Gut, dass in unserem Land ein neues Bewusstsein gewachsen ist, was Ernährung und Gesundheit anbetrifft. Was den Umgang mit Nahrungsmitteln angeht, und die Haltung von Tieren.

 

Und dass wir immer besser verstehen: Hier gibt es Zusammenhänge. Deswegen habe ich eben gesagt: Wer isst, verhält sich politisch.

Zugegeben: Dass Tiere unsere Mitgeschöpfe sind, und dass sie heilig sind und eine Würde haben, weil sie Lebewesen sind, das stand nicht immer im Zentrum der christlichen Verkündigung. In der biblischen Schöpfungserzählung gibt es den göttlichen Befehl: „Macht euch die Erde untertan.“ Kann sein, das hat unser Handeln durch die Jahrhunderte zu sehr beeinflusst. „Macht euch die Erde untertan.“ Diese Worte kann man leicht missverstehen. Dann sind diese Worte der Freibrief für die Menschen, der eigenen Gier, der Ausbeutung und dem Raubbau freien Lauf zu lassen. Inzwischen ahnen auch die letzten Beschwichtiger und Schönredner, dass das nicht heißen kann: Zerstört ruhig eure Lebensgrundlagen, sägt ruhig den Ast ab, auf dem ihr sitzt. Nach euch die Sintflut.

 

Nein, wir sind aufgerufen, die Schöpfung zu bewahren. Alles dafür zu tun, dass die Erde auch noch für unsere Kinder, Enkelkinder und Urenkel bewohnbar ist. Nicht zuletzt der Sommer, der hinter uns liegt, hat gezeigt, wie sehr die Dinge ineinandergreifen und zusammenhängen. Das heiße Wetter war womöglich keine Laune der Natur, sondern ein Zeichen des Klimawandels. Viele haben gespürt: Unser Verhalten fällt auf uns zurück. Und es hat Auswirkungen weit über unser eigenes, persönliches Wohlbefinden hinaus.

 

Wie und was wir essen, das hat eine ökologische, umfassende Dimension. Davon weiß auch der Apostel Paulus etwas, wenn er im Römerbrief schreibt: „Die ganze Schöpfung seufzt und stöhnt vor Schmerz, wie in Geburtswehen – bis heute.“ (Röm. 8, 22)

 

 

Heute feiern wir Erntedank. Wir nehmen dankbar entgegen, was Gott, der Schöpfer, uns gibt. Damit wir und all die Menschen an anderer Stelle auf dieser Erde, gut leben können.

 

Dankbar? Ja, denn Dankbarkeit Gott gegenüber ist der Schlüssel für ein zufriedenes, glückliches Leben. Wer dankbar ist, der weiß auch das scheinbar Unbedeutende, das Kleine, zu schätzen und spürt: Nichts ist selbstverständlich.

 

Freilich: Dankbarkeit ist nicht machbar. Da hilft selbst eine gute Erziehung nicht. Höflichkeit kann man vielleicht lernen. So wie Eltern ihren Kindern beibringen; „Was sagt man?“ „Danke.“ Aber echte und tief empfundene Dankbarkeit? Die kann man nicht antrainieren oder verordnen. Auch nicht am Erntedankfest. Deswegen ist es auch gar nicht so falsch, Gott um eine dankbare Lebenseinstellung zu bitten: Gott, mache uns wieder neu zu dankbaren Menschen. Warum nicht?

 

Viele machen das, indem sie vor dem Essen kurz innehalten und beten. Wie hat der Apostel Paulus gesagt? „Wir müssen es nur in Dankbarkeit von Gott entgegennehmen. Durch Gottes Wort und durch unsere Fürbitte wird es nämlich zu etwas Heiligem.“ Ein schöner Gedanke! Indem wir beten, wird es zu etwas Heiligem. Weil wir dann dankbar sind und zeigen: Alles, was wir empfangen, ist mit Gott verbunden. Wer dankbar ist, geht anders durchs Leben. Dankbarkeit ist eine Lebenseinstellung. Sie ist wie der Grundton von einem Dudelsack, der dann von quirligen Melodien umspielt wird: Eben vom Leben selber. Dankbarkeit in uns kann neu wachsen. Sie eröffnet neue Wege. Auch, wenn es ums Essen geht.

 

Viele Menschen haben für sich schon längst eine Entscheidung getroffen, mit der sie gut leben können und mit der sie sich persönlich wohl fühlen. Gut, wenn man mit sich im Einklang ist!

Aber jeder, der hier eine bewusste Entscheidung gefällt hat, ist damit auch politisch.

Manche essen zum Beispiel ganz bewusst deutlich weniger Fleisch. So machen wir das zu Hause auch.

Andere sagen: Ich verzichte ganz auf das Fleisch.

Noch andere sagen: Ich nehme überhaupt keine tierischen Produkte zu mir.

Wieder andere sagen: Ich esse jetzt viel weniger Fleisch. Aber wenn, dann achte ich darauf, dass ich was Gutes einkaufe. Ich will wissen, wo es herkommt. Das kostet dann eben mal mehr Geld, aber das ist es mir wert.

Und manche sagen: Ich esse Fleisch so gerne, ich will darauf eigentlich gar nicht verzichten.

Im Lichte des Evangeliums sind das alles Standpunkte, die Respekt verdienen.

 

Auf Grund religiöser Vorschriften muss ich auf nichts verzichten. Gott fordert da nichts von mir. Etwas anderes ist es, wenn ich freiwillig Verzicht üben will. Aus welchen Gründen auch immer.

Sei es, weil ich es für gesünder halte. Sei es, weil ich Mitleid mit den Tieren habe. Sei es, weil ich ein Zeichen setzen will und andere nachdenklich machen will.

Sei es, weil ich gegen kriminelle Formen der Massentierhaltung protestieren will oder gegen die Dumpinglöhne der Arbeiter auf den Schlachthöfen.

Sei es, weil mir das Schicksal von Menschen in anderen Regionen dieser Erde etwas bedeutet.

Wie wir uns auch immer verhalten, es gilt: Wer isst, verhält sich politisch.

 

Gut: Wenn ich zuhause weniger Fleisch esse, bin ich nicht so naiv zu glauben, dadurch änderte sich grundsätzlich etwas an den katastrophalen und manchmal kriminellen Zuständen im Bereich der Tierhaltung. Ich bin auch nicht so naiv, anzunehmen, so etwas wie ein zeitweiser deutschlandweiter Fleischboykott könnte wirklich etwas bewirken.

Nach dem Motto „Stell dir vor: Alle Kühltheken in den Supermärkten und Metzgereien quellen über vor Fleisch – und alles wird zu Gammelfleisch, weil: Keiner kauft es.“

 

Dennoch ist heute am Erntedankfest eine gute Gelegenheit, diejenigen, die politische Verantwortung tragen, daran zu erinnern und ihnen ins Gewissen zu reden. Es darf kein „Weiter so!“ geben, wenn es um die Tiere als unsere Mitgeschöpfe geht. Denn:

Alle Tiere sind rein. Alle Tiere sind heilig.

Sie haben alle ihre eigene Würde, weil sie Geschöpfe Gottes sind, wie wir Menschen auch.

Sie kommen von Gott her. Und darum sind sie gut. Also lasst sie uns auch gut behandeln.

Das wäre ein Erntedank, den Gott gerne entgegennimmt.

 

Und der Friede Gottes, der all unser Denken und Verstehen übersteigt, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.06.2018
Frank Küchler