Einmal Fischbauch und zurück

Der Prophet Jona
Einmal Fischbauch und zurück
Die Auferstehung des Propheten Jona
17.04.2017 - 07:05
15.04.2017
Pfarrerin Angelika Obert
Über die Sendung

Das Zeichen des Jona… nach drei Tagen im Dunkeln wieder ans Licht und mitten hinein ins Leben. Eine "Zeitgenossin" begleitet den Propheten und beobachtet seine "Auferstehung" mit einem kritischen und einem zwinkernden Auge.

Sendung nachlesen

Es muss eine harte Landung gewesen sein. Der Mann lag wie ein abgestürzter Vogel am Strand, mit zerfleddertem, tropfnassem Gefieder. Anfangs hielt ich ihn für tot. Aber als ich mich näherte, fiel mir auf, dass Hände und Füße der vermeintlichen Leiche sich in den Gelenken drehten. Der Mann probierte aus, ob sein Körper noch intakt war. Glück gehabt! Der Gerettete stemmte seinen ganz und gar nicht gebrochenen Rücken in die Senkrechte, hüpfte auf die Fußsohlen, rannte los. Unsereins hätte erst mal ein bisschen Treibgut gesammelt und sich an einem Opferfeuer versucht, um den Göttern für die unverhoffte Rettung zu danken. Aber für diesen Hebräer war es wie Auferstehung; bloß keine Sekunde der geschenkten Zukunft verpassen!

 

Jona. So hieß er. Während immer noch Wasser aus seinem Mantel tropfte und sich in einer kleinen Pfütze um ihn herum verteilte, stellte er sich mir umständlich als Prophet des Gottes Israels vor. Dieses Amt, so verriet er mir, begründete seine Eile. Sein Gott hatte ihn nicht zum Spaß aus dem Totenreich zurückgeholt. Er hatte etwas Besonderes mit ihm vor, das keinerlei Trödelei erlaubte. Sein Auftrag hatte mit Ninive zu tun, meiner Heimatstadt. Schon vor Wochen war Jona in unsere Metropole befohlen worden. „Mache dich auf in die große, böse Stadt Ninive und predige gegen die Bosheit der bösen Niniviten!“ So lautete Gottes Order. Aber Jona hatte den Marsch und seine Aufgabe wochenlang vor sich hergeschoben. Umso gehetzter jagte er jetzt seiner eigenen Verspätung hinterher. Ich hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Erst als wir zwei Tage Seite an Seite in Richtung Ninive marschiert waren, traute ich mich, ihm eine Frage zu stellen. „Welche Bosheit eigentlich?“ wollte ich wissen. Mir war nicht klar, warum mein Zuhause einen derart schlechten Ruf bei den Hebräern besaß. Groß, ja, das war Ninive. Eine Weltstadt. Aber ein Sündenpfuhl? Was stellte sich ein israelitischer Prophet unter einem heidnischen „Sündenpfuhl“ vor?

Der Mann neben mir zuckte die Achseln. Offenbar hatte er selbst sich nie diese Frage gestellt.

 

„Wenn Gott befiehlt, dann kannst du nur gehorchen. Weglaufen hilft sowieso nicht, das weiß ich inzwischen.“

 

Als Jona und ich uns kennenlernten, hatte der Prophet schon eine kleine Odyssee hinter sich. Er war, so drückte er sich aus, über den Rand des Todes ins Reich der finstersten Mächte gereist. Angeblich hatte er sich drei Tage im Bauch eines riesigen Fisches aufgehalten, und angeblich war es dieser Riesenfisch gewesen, der ihn auf den Strand, ins Leben zurück, und mir in den Weg gespuckt hatte. Drei Tage Fischbauch! Drei Tage in einem glitschigen, tranigen Grab, bevor das Seeungeheuer Schluckauf bekam und den unverdaulichen Kloß aus seinem Magen in die Frischluft beförderte, in das zweite Leben eines Auferstandenen! Kann man das glauben?

Mein Reisegefährte ahnte wohl, wie unglaubwürdig sich die Geschichte seiner Auferstehung in den Ohren von Leuten anhörte, die an andere Götter glaubten, als er selbst. Deshalb erwähnte Jona lediglich eine turbulente Seefahrt und ein Schiff in Richtung Tarsus.

 

„„Was bist du für einer? Wo kommst du her und wo willst du hin?“ Die permanenten Fragen dieser Frau gehen mir auf die Nerven. Genauso aufdringlich sind die Seeleute gewesen, mit denen ich vor einer Woche Richtung Tarsus geschaukelt bin. „Was hast du auf dem Kerbholz, dass du dich immer nur unter Deck aufhältst?“ löcherten sie mich. Im Gegensatz zu diesen Holzköpfen kennt sich meine Reisebegleiterin besser mit uns Hebräern aus. Sie habe mir meine Herkunft schon von Weitem angesehen, behauptet sie. Und sie wisse sogar, wer mein Gott sei.“

 

Ist das nicht dieser Alleskönner, der bei keinem Namen genannt werden will?

 

„Der Gott, der Himmel, Meer und alles Trockene geschaffen hat, jawohl, genau dieser Eine und Einzige ist mein Gott.“

 

Wie hatte dieser Dummkopf von Prophet dann auf die hirnrissige Idee kommen können, sich vor diesem Gott aus dem Staub machen zu können, ausgerechnet vor ihm, dem Schöpfer des Staubes? Die Seeleute auf jenem wackligen Kahn hatten ganz zu Recht gefolgert, soviel Blödheit musste bestraft werden. Also war allein Jona für die Aufruhr im Meer verantwortlich, dieses Tosen und Rütteln, mit dem der Schöpfer das Boot zum Kentern und Jona zur Raison bringen wollte. Die Männer mussten den Verfolgten loswerden. Zwei Schiffsjungen packten ihn, und schleuderten Jona über die Reling. Sie warfen ihn dem Riesenfisch direkt in den Schlund.

 

Gegen das Donnern im dunklen Gewölbe hatte Jona gebetet, gebetet und nochmals gebetet, als könnten seine Psalmen die Fettschichten der Walhaut zum Schmelzen bringen. Da dieser Versuch sich als nutzlos erwies, kraulte der Prophet - angeblich! - die Gedärme des Fisches hinauf. Kurz nach der Passage des Magens würgte der Gigant das prophetische Menschlein an Land. Jonas Auferstehung. Angeblich!

 

„Mein zweites Leben beginnt.“

 

Gut, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte. Über dem Bericht seines Abenteuers war nämlich das Feuer erloschen und die Nacht deckte meine skeptischen Stirnfalten zu. Ich wünschte dem Propheten eine gute Nacht und beobachtete noch eine ganze Weile die Sterne über uns. Rasch schickte ich ein Gebet zum Gott des Himmels. Ich nannte ihn bei keinem Namen - vorsichtshalber! Wer wusste schon welcher Unaussprechliche für welches Element zuständig war?

 

„So spricht Gott: Noch 40 Tage, dann kommt der Untergang. Wartet nur ab, ihr Leute in Ninive!“

 

Das also war sie, seine prophetische Botschaft: In 40 Tagen sollte unsere Stadt von einem Vernichtungsschlag getroffen und zu Staub zermahlen werden. Nur noch 40 Mal wachwerden, dann war Schluss mit lustig. Jona malte uns unseren Untergang in den schillerndsten Farben aus. Und ja, er schien sich an seiner Schreckensvision zu weiden. Je näher der Tag unseres Endes kam, desto heißer schlugen uns die Flammen des Gotteszorns aus Jonas leuchtenden Augen entgegen.

Dabei hatte ich schon den Eindruck gewonnen, dass er sich mit dem Getümmel der Großstadt angefreundet hatte! Er schlenderte von Geschäft zu Geschäft, umrundete wie ein Pilger den Königspalast, und winkte nach einem Eselskarren, um sich für eine kurze Strecke durch die Menge kutschieren zu lassen. Aber dann sprang er ab, tauchte mit hektischen Gesten ins Gewimmel, um meinen Landsleuten ihr baldiges Ende mitten in ihr erstauntes Gesicht zu brüllen.

 

„Warte nur ab, Ninive! Es gibt kein Entrinnen.“

 

Für Jona waren alle Menschen, die nicht an seinen namenlosen Gott glaubten, Fatalisten. Irrtum, Herr Prophet! Wir Niniviten gehen früher oder später zum Handeln über. Statt wie gelähmt auf den tödlichen Schlag zu warten, greifen wir zu Gegenmitteln. Wer konnte schon sicher sein, dass der namenlose Gott der Hebräer sich nicht noch besann und umstimmen ließ? Es konnte nicht schaden, wenn wir ein Fasten ausriefen. In der gesamten zivilisierten Welt galt ein asketischer Lebensstil als Signal für einen guten Willen. Was immer wir auch verbrochen hatten: Wir würden bereuen und Buße tun. Sogar unser König rief nach einem Sack, verlangte nach Asche, band sich ersteren um den Bauch, und streute sich letztere über die Frisur. Selbst die Tiere wurden in das Fasten einbezogen. Kein Schaf durfte geweidet, kein Rind zum Wasser geführt werden.

Ich bin überzeugt, der fragende, vorwurfsvolle Blick des Viehs war der Tropfen, der Gottes Gnadenfass schließlich zum Überlaufen brachte. Gott überlegte es sich anders. Der Schöpfer zog den erhobenen Zornesbecher zurück und goss ihn nicht über Ninive aus.

 

„Der vierzigste Tag kommt. Der vierzigste Tag geht. Nichts passiert. Zum Donnerwetter: Warum passiert denn nichts?“

 

Und Jona? Wo war mein Freund Jona geblieben? Wer konnte mir sagen, wo ich unseren Mahner, Warner und Retter fand, um ihm für den Erfolg seiner prophetischen Mission zu gratulieren?

Typisch, dachte ich, als ich ihn vor einem unserer Wasserstellen knien und beten sah. Unsereins lässt die Korken knallen, der fromme Hebräer sinkt dankbar auf seine Stirn, dachte ich.

 

„Ich hab es ja immer gewusst, Herr. Ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen.“

 

Jonas Gott wurde mir immer sympathischer. Umso unbegreiflicher war mir, warum der Prophet nicht Tränen der Freude vergoss, sondern Tränen der Wut, der schieren Verzweiflung.

 

„So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben.

Was hab ich mir all die Mühe gemacht? Ich hätte es wissen müssen, Herr: Wie verdammt gnädig du bist, wie unverbesserlich barmherzig, rettungslos langmütig und von welch unverfrorener Güte!“

 

Es dauerte eine Weile, bis ich begreifen konnte, dass Jona Gott Vorwürfe machte. Er hielt dem Schöpfer ein inkonsequentes Verhalten vor, nur weil er Erbarmen mit seinen Geschöpfen zeigte! Mir platzte der Kragen. Empört zog und zerrte ich an dem prophetischen Mantel und schrie ihn an: „Glaubst du etwa, dass du Recht hast mit deinem Zorn? Glaubst du das wirklich?“

Welcher hebräische Gottesmann lässt sich schon gern von einer Frau belehren, die er in die Schublade der Ungläubigen eingesperrt hat?

 

„Erst will Gott den Untergang, dann entfacht er bloß ein Freudenfeuer. Erst ein Gerichtswort über Ninive und ihre Bosheit, dann Freispruch trotz erwiesener Schuld. Wer soll diesen wankelmütigen Gott denn noch ernst nehmen? Wer soll in Zukunft seine Propheten ernst nehmen? Erst hüh, dann hott. Erst Tod, dann Leben.“

 

„Das war es dann wohl, Ninive. Lasst mich bloß alle in Ruhe! Der Prophet ist entlassen und gibt Amt und Würde auf.“

 

Wie er so im Osten der Metropole saß, im Schatten seiner selbst gebauten Hütte, wie er immer mehr Abstand gewann zu dem Feilschen der Straßenhändler von Ninive, entspannte Jona sich zusehends. Ich beobachtete ihn. Ich sah, wie sich sein zusammengebissener Kiefer lockerte, und wie er seine Arme spielerisch aus dem Liegestuhl baumeln ließ. Als dann auch noch ein Pflänzchen neben seiner Hütte den Wüstenboden durchbrach, als die Staude sich in Windeseile als Fächerpalme entpuppte, ihre Blätter einen kühlen Hauch zu ihm herunter wedelten und einen Sonnenbrand auf seiner Stirn verhinderten, da begann Jona seinen prophetischen Ruhestand sogar zu genießen. Er lehnte sich behaglich zurück. Er freute sich seines entpflichteten Daseins, in Stadtnähe und dennoch unter Palmen.

 

Wie gnädig, barmherzig und freundlich der Gott der Hebräer tatsächlich ist, hatte ich mir früher nicht vorstellen können. Das hatte ich erst durch Jona gelernt. Wie langmütig und geduldig sein Gott ihn an der langen Leine gehalten hatte, ihn Umwege und Irrwege einschlagen ließ, ohne seine Hand abzuziehen: Das war mir an seiner Geschichte klar geworden. Neu war mir, dass derselbe Gott auch einen Schalk in seinem Nacken beheimatete. Und was für ein Schalk das war! Ich traute meinen Augen kaum, als ich die Bescherung bemerkte: In dem aufbrausenden Ostwind ließen die Palmzweige ihre verdorrten Fächer hängen! Auch der Stamm der Staude begann sich zur Seite zu neigen. Das Bäumchen kam der Erde, aus der es erst jüngst gesprossen war, näher und näher. Noch bevor Jona von dem Stich der Sonnenstrahlen aus seinem Dösen geweckt worden war, fand er sich unter den staubtrockenen, knisternden Resten seines schattigen Örtchens begraben.

 

„Nein! Ich möchte lieber tot sein. Lieber tot als lebendig will ich sein.“

 

In diesem Moment, das gebe ich zu, tat Jona mir leid. Hätte sein Gott nicht endlich Ruhe geben können? Doch er war mit seinen Lektionen immer noch nicht am Ende.

 

Wieder suchte der Namenlose sich einen tierischen Verbündeten, um den Mann Jona zu ärgern; oder sollte ich sagen: um ihn zu prüfen, zu provozieren? Diesmal brauchte es keinen Meeresgiganten. Für diese Nagelprobe genügte dem Schöpfer ein winziges Würmchen. Vielleicht war es auch ein Skorpion oder etwas anderes, etwas Stechendes, Nagendes, mit spitzen Zähnchen bohrendes. Aus meiner Position konnte ich den tierischen Waffenträger nicht identifizieren. Aber ich erkannte, dass das Geschöpf ganze Arbeit geleistet und das Bäumchen innerhalb kürzester Zeit ausgehöhlt hatte. Die Staude stürzte, und ich sah, wie Jona sich seinen verbeulten Schädel rieb, als er aus dem Gestrüpp kroch. Wie gesagt: Einen Moment lang hat er mir leid getan. Wer so gewaltsam in seine eigene Engstirnigkeit zurückversetzt wird, kann eben nur noch jammern.

 

„Lieber will ich sterben. Herr, nimm doch meine Seele zu dir.“

 

Ist das vielleicht eine Haltung, Mensch Gottes? Vorerst genügte es, dem Mann die knisternden Reste der Palmzweige vom Kopf zu fegen. Er sollte den Weitblick zurückbekommen, der ihn mit sich selbst, mit dem angeblich bösen Ninive und der Welt versöhnt hatte. Erst als er weiter vor sich hin in den Staub jaulte, griff ich zu härteren Bandagen. „Hör auf mit deinem Gezeter!“ befahl ich ihm, als hätte je eine heidnische Frau einem hebräischen Mann etwas zu sagen gehabt. „Du jammerst und jaulst wegen dieser lächerlichen Staude, die du weder gepflanzt noch gegossen noch gepflegt oder gehegt hast. Gibt es nichts Wichtigeres als einen verlorenen Schatten?“

Er wollte etwas erwidern. Aber ich kam ihm zuvor. „Wegen dieser kleinen Pflanze willst du dich umbringen!“ sagte ich und sah ihn vorsichtig nicken. „Du willst dein Leben wegwerfen, obwohl du weder dich selbst noch mich noch die Würmer und Pflanzen schaffen oder retten kannst?“ Er hörte auf zu nicken. „Weißt du was? Du tust mir leid, wie alle, die sich für den Nabel der Welt halten.“ Er blieb still. „Und Gott sollte es nicht leid tun um Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertundzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?“

Jona blieb stumm. Da aber sein Blick deutlich mehr sagte, werte ich sein Schweigen als Einverständnis.

15.04.2017
Pfarrerin Angelika Obert