Nach der Flut

Jost Mazuch

Nach der Flut
Trauer und Hoffnung im Ahrtal
16.07.2023 - 07:05
03.07.2023
Jost Mazuch

von Pfarrer Jost Mazuch

Über die Sendung:

Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe wandert der Autor durchs Ahrtal. Er spricht mit Anwohner:innen, mit Gastwirten und Winzern. Ebenso besucht er Seelsorgerinnen und ehrenamtliche Helfer, die sich dort der Bewältigung des Erlebten und Erlittenen widmen. An alten und neuen Gedenkorten reflektiert er die großen Themen Trauer und Hoffnung angesichts der entstandenen Lebenslagen.

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Endlich will ich wieder an der Ahr wandern gehen. Seit die große Flut vor zwei Jahren im Ahrtal so viel zerstört hat, bin ich nicht mehr da gewesen. Aber jetzt schreiben Winzer und Gastwirte, man solle doch bitte wiederkommen – viele im Tal leben vom Tourismus. Ich bin gespannt, auch ein bisschen bange. Seit langem liebe ich diese abwechslungsreiche Landschaft mit ihren schroffen und malerischen Aussichten, die Wege und Dörfer, die Natur, die Menschen dort und auch den Ahrwein – was werde ich wiederfinden? Wovon muss ich Abschied nehmen? Als Seelsorger war ich nach der Flut woanders, an der Erft im Einsatz, sah und hörte, was das Wasser angerichtet hatte. Wie können die Menschen im Ahrtal heute leben nach dieser Katastrophe, mit all den großen Veränderungen?

Ende Mai packe ich meinen Rucksack, mache mich auf den Weg. Fünf Tage will ich der Ahr auf ihrem Weg aus der Hohen Eifel bis ins Rheintal folgen. Ein sonniger Sonntagmorgen. Auf ihren ersten Kilometern ist die Ahr ein kleiner Wiesenbach in üppig grüner Landschaft. Man könnte meinen, hier habe sich nur wenig verändert. Doch nach ein paar Stunden erreiche ich Stahlhütte. Da lag früher unten an der Ahr ein großer Campingplatz; jetzt ist hier nur noch eine große ebene Wiese.

Die kleine Brücke, die früher über den Bach führte, gibt es nicht mehr. Stattdessen am Wegrand ein Findling mit Grablichtern und Blumen: Im Gedenken an die Flutopfer vom 14. Juli 2021 auf dem Campingplatz Stahlhütte, lese ich. Darunter sieben Namen. Auch eine junge Feuerwehrfrau wurde hier beim Versuch, Leben zu retten, selbst von den Wassermassen in den Tod gerissen; und mit ihr sechs weitere Menschen, die sich vor der gewaltigen Flutwelle nicht mehr in Sicherheit bringen konnten.
Ich setze mich auf die Bank neben den Stein. Hier ist ein ruhiger Ort des Gedenkens, der Trauer. Es gibt noch nicht viele davon im Ahrtal.

Am Ortseingang von Müsch steht ein großes Banner; es wird mir noch öfter begegnen: „We AHR open“ – Ahr geschrieben: A-H-R. Und dann: „Noch lange nicht fertig. Aber offen und froh über deinen Besuch.“ Das einladende Plakat steht beinahe provokant neben einer Hausruine. Nur die halbe Fassade von dem alten Bruchsteinhaus ist stehengeblieben. Schotter, Absperrgitter, überall Baumaterial. Über den trotzigen Willkommensgruß freue ich mich dennoch.

Kein Dorf, kein Ort an der Ahr, in dem nicht heute noch die Spuren dieser Nacht vom 14. Juli 2021 zu sehen sind, als nie gekannte Wassermassen durch das Tal schossen: Ruinen. Baustellen. Verlassene Häuser, äußerlich scheinbar intakt – beim näheren Hinsehen innen komplett zerstört. Eine ehemals schöne Haustüre, noch immer schlammverschmiert, der Besen lehnt schräg im Eingang. Hier ist schon lange niemand mehr reingegangen.
Straßen ohne Pflaster, Brücken sind unpassierbar oder ganz verschwunden, durch behelfsmäßige Pionierbrücken ersetzt. Neue Straßen, wo früher keine waren.  Die Landschaft scheint weiter geworden, viele Bäume sind verschwunden. Überall sieht und hört man Baumaschinen, Bagger, LKW. Mancherorts sind jetzt kahle Flächen, wo früher ganze Häuserzeilen standen. Mehrmals höre ich den Vergleich: „Wie nach dem Krieg“. Dann wieder: Neubauten und frisch renovierte Häuser. Abbruch und Aufbruch dicht nebeneinander. In Rech, dem alten, schwer verwundeten Weinort, ist auf der leeren Fläche neben der zerborstenen Nepomukbrücke ein bunt geschmückter Maibaum aufgerichtet, ein widerständiges Lebenszeichen.

Im Hotel in Insul an der oberen Ahr entdecke ich im Treppenhaus ein großes Gemälde. Es zeigt unverkennbar den Wirt, Herrn Ewerts. Er sitzt da in schlammverschmierter Kleidung auf einem umgestürzten Steinkreuz. Erschöpft sieht er aus, stützt Mund und Kinn auf die Faust, sieht mit schmalen Augen ins Ungewisse.

Ewerts: Ja, das war am ersten Tag – ja, und das war schon ne schwierige Zeit, heute weiß man gar nicht mehr, wie man das alles geschafft hat, wie man das mental verarbeitet hat.

Die Malerin hatte ein Foto von ihm in der Zeitung gesehen, wie er so dasitzt, und ihr Bild danach gemalt. Für mich ein ausdrucksstarkes Bild: Der Christus am Kreuz, im Schlamm der Flut, bei einem, der sichtlich nicht weiß, wie es mit seinem Leben weitergeht.

Ewerts: Tja, und da sieht man mal die Verzweiflung, doch. Ob man da noch gedacht hat, es geht weiter, das wussten wir auch nicht so zu der Zeit.

Es ging weiter, Familie Ewerts hat ihr Hotel inzwischen komplett renoviert, zum Teil ganz neu aufgebaut. Und das alte Kreuz steht auch wieder vor der Tür am Weg. Doch die ersten Wochen nach der Flut waren hart, zeitweise ohne Perspektive.

Ewerts: Ja, und dann kam wieder halt: Ist doch Heimat. Die Kinder sind da. Und mein Sohn wollte es weitermachen hier. Liegenlassen ging auch nicht, Geld verdienen müssen wir auch wieder. So, und da haben wir dann gesagt: Dann fangen wir nochmal von vorn an, ne.

Der Sohn, die Zukunft der Familie, das war die größte Motivation, nicht aufzugeben.

Ewerts: Ich bin ein gläubiger Mensch, aber ich musste jetzt nicht mich nach oben richten. Oder „warum, weshalb“ – so bin ich nicht. Für mich war jetzt wichtig: Weiter, wieder voran.

Weitermachen, aufbauen, nach vorne blicken – Viele, die ich im Ahrtal treffe, können auf diesem Weg die Schrecken der Flut hinter sich lassen. Aber das funktioniert längst nicht für alle. In Dernau treffe ich Pfarrerin Julia Riedel. Sie ist seit eineinhalb Jahren für die evangelische Kirche hier, als Seelsorgerin im psychosozialen Team der Diakonie.

Riedel: Es gibt viele, die kommen gut voran mit dem Wiederaufbau, die kommen gut voran mit der Bewältigung von Trauer, und dann gibt es eben aber auch die, wo die Flut viele Dinge noch mit hervorspült, die ohnehin schon auf der Seele vielleicht lasteten, wo die Flut ohnmächtig gemacht hat und auch im Jahr zwei immer noch ohnmächtig macht. Die wirklich einfach noch viel, viel Hilfe und Unterstützung brauchen und ein offenes Ohr.

Dass weiterhin Menschen ansprechbar bleiben für die inneren Nöte der anderen, das ist zwei Jahre nach der Flut so wichtig wie am Anfang. Denn manche spüren jetzt ihre tiefe Erschöpfung, kommen in all der Arbeit erst jetzt dazu, auch für sich selbst zu sorgen.

Riedel: Die einen brauchen psychosoziale Unterstützung, die anderen brauchen psychotherapeutische Behandlung und Plätze – und die fehlen. Der eine braucht mal ein gutes Gespräch zwischen Tür und Angel, und das reicht, und dann ist durch mit dem Thema, und der nächste kommt wöchentlich, und man geht das immer und immer und immer wieder durch.

Auf meinem Weg durchs Ahrtal entdecke ich an vielen Stellen Kreuze, meist mit dem Bild des leidenden Christus: an Kirchen oder Hauswänden, als Bildstöcke am Wegesrand, oder jetzt einfach auf dem Boden abgelegt, irgendwo neben Baumaterial. Manche dieser Kreuze sind schon sehr alt, zeugen von der jahrhundertelangen christlichen Prägung und von einer tiefverwurzelten Volksfrömmigkeit im Ahrtal.


In der Kirche von Schuld fällt mir ein Faltblatt in die Hände, Überschrift: „Das Ahrtalkreuz“. Ein Aufruf, zur Gestaltung eines besonderen Kreuzes persönliche Äußerungen auf Papier beizutragen: Zeugnisse und Spuren der Flut in Worten oder Bildern. Darüber will ich mehr erfahren. Ich treffe, passenderweise in Kreuzberg, Praxedis von Boeselager. Sie hat mit dem Gemeinderat ihrer Pfarrei und dem Kreuzberger Bildhauer Rudolph Schneider diese Aktion ins Leben gerufen.

Boeselager: Was man erlebt hat, der Verlust, die Ohnmacht, zuschauen zu müssen, die Dimension der Zerstörung – das war jenseits der bisherigen Erfahrung, und auch jenseits von Sprache. Ich habe ganz wenige Leute erlebt, die imstande waren, auszudrücken, was in ihnen vorgegangen ist. Das ist ja auch klar, das ist jedem von uns so gegangen.

Das Erlebte und Erlittene ausdrücken zu können, dazu soll das Ahrtalkreuz den Menschen helfen. Auf vielen Blättern und Zetteln haben sie ihre Erinnerungen, Gedanken und Bilder zusammengetragen; auch Zeitungsausschnitte werden abgegeben oder manchmal einfach ein leeres Blatt. Doch es soll nicht beim bloßen Sammeln bleiben. Diese vielen einzelnen Zeugnisse werden jetzt umgewandelt:

Boeselager:  Es kommen hunderte, tausende von Papieren zustande, und die werden zu einem Pappmaché verarbeitet, und dieses Pappmaché ist der Werkstoff, aus dem der Künstler einen Corpus macht, den Körper Jesu Christi. Und dieser Corpus wird auf zwei Hölzern sein, die wir auch aus der Flut geborgen haben. Das wird das Ahrtalkreuz sein.

Die Lebensgeschicke, das Leid, die Erfahrungen der vielen einzelnen Menschen werden Christus einverleibt und dadurch verwandelt in etwas Neues. Eine alte christliche Erfahrung, aufgenommen in einer zeitgenössischen Kunst- und Glaubensaktion. Das fertige Ahrtalkreuz soll zukünftig an vielen Orten unterwegs sein, in Gottesdiensten oder bei anderen Anlässen.

Boeselager: Dieses Kreuz wird Ausdruck des Leids sein und gleichzeitig Ausdruck der Hoffnung. Weil es über die Jahrhunderte, über zwei Jahrtausende unsere Kultur geprägt hat, dass das Kreuz Zeichen für miteinander getragenes Leid ist, Zeichen dafür, dass wenn man miteinander trägt, es dann leichter wird.


In Altenahr steige ich zur alten, längst verfallenen Burg Are hinauf. Die Ruinen hier oben gelten seit Jahrhunderten als romantische Wahrzeichen, die Ruinen der Häuser und Brücken unten im Ort zeigen aktuelles Leid und Zerstörung. Ein harter Kontrast: da unten der mühsame Alltag und die Bauarbeiten, hier oben die immer wieder beeindruckende Aussicht auf die engen Ahrschleifen, auf das berühmte Teufelsloch in den steilen Felsen gegenüber, die weiten Blicke ins Tal. Aus dem Ort schallt Kindergeschrei und Gesang herauf. Und ich denke: Wo Kinder sind, da ist Leben! Doch dann frage ich mich: Wo und wie leben sie jetzt eigentlich? Auch viele Kindergärten und Schulen sind ja nach dem Hochwasser unbrauchbar geworden. Kinder vergessen schnell, sagt man. Aber stimmt das wirklich? Hier an der Ahr, so erfahre ich, tragen viele noch schwere Erinnerungen mit sich.

Neudorf: Kinder haben das Problem, das Thema Wasser ist belastet für sie, natürlich nach der Flut, wenn sie die Nacht auf dem Dach des Hauses verbracht haben und das Wasser stieg und stieg – bis heute gibt es Kinder, die fangen an zu zittern, wenn es regnet.

Sascha Neudorf gehört zum „Hoffnungswerk“; das ist ein Team von vielen ehrenamtlichen und beruflichen Helferinnen und Helfern, die bis heute im Ahrtal tätig sind. Sie betreiben eine ganze Reihe von einfallsreichen Projekten. So haben sie für solche Kinder ein traumapädagogisches Schwimmcamp entwickelt. Für vier Tage wird ein Schwimmbad angemietet. Behutsam, unter pädagogischer und therapeutischer Begleitung, können Kinder wieder an das Element Wasser heranfinden.
Oder ein anderes Angebot, der Geburtstags-Bus:

Neudorf: Wir haben einen Kids-Bus, mit dem wir Kindergeburtstage veranstalten, so‘n Doppeldecker, der zum Indoor-Spielplatz umgebaut wurde, und wo wir ein Team haben, die nichts machen als zwei Kindergeburtstage pro Woche, und natürlich Straßenfeste, Dorffeste, Schulfeste zu unterstützen. Den Bus können betroffene Familien kostenlos buchen. Und wir wollen Kindern ein Highlight schaffen. Sie haben so viel verloren nach der Flut. Wenn sie sagen können, ja, vieles habe ich verloren, vieles war schlecht, aber mein Geburtstag war ein Highlight!

Kinder, deren Zuhause verschwunden ist, die zum Schulunterricht jetzt in Containern sitzen, brauchen neue Orte, wo sie gerne hingehen. Im Tal habe ich solche Angebote gesehen: In Dernau ein großes Zirkuszelt als Kinder- und Jugendtreff. In Ahrweiler ein paar Zirkuswagen als Malschule. Begegnungsorte, und es gibt sie nicht nur für die Kinder. Auch Erwachsene haben das Bedürfnis, sich wieder mit anderen zu treffen. Zum Beispiel in dem Flutcafé des Hoffnungswerks in Ahrweiler.

Neudorf: Es ist ein Begegnungsort, wo Menschen herkommen, um ihre Trauer, ich sag mal: ihren tagesaktuellen Schmerz entweder zur Sprache zu bringen oder einfach schweigend auszusitzen; ein Ort, wo sie wissen: wir sind für die Menschen da. Viele sind aus ihrem sozialen Umfeld einfach herausgerissen, sei es, dass sie selber herausgerissen sind oder dass das Umfeld halt weg ist. Und dann können sie herkommen und neue Freunde finden.


Anders als die meisten Dorfkirchen, die wie die anderen Häuser überflutet wurden, blieben viele der kleinen Kapellen im Ahrtal davon verschont. Sie liegen oft höher am Hang oder malerisch auf einer kleinen Kuppe. Manchmal begegne ich auf meiner Wanderung dort Menschen, die still beten oder eine Kerze entzünden.

An der Hönninger Hubertuskapelle entdecke ich verzierte Gläser mit Lichtern darin, offensichtlich nach der Flut hierhergestellt. Auf einem ein rührendes Kinderbild: wogende blaue Wellen, darüber eine strahlende Sonne, ein Regenbogen überwölbt das Ganze. Und dazu die Bitte: Lieber Gott, lass nie wieder eine Flut kommen!

Am steilen Weinberg oberhalb von Walporzheim treffe ich Harald Knieps. Er hat mitten in den Aufräumarbeiten nach dem Hochwasser den Entschluss gefasst: „Wir werden eine Flutkapelle bauen.“ Diese Idee zu einer Gedenkkapelle für die Ahrflut kam von Zimmerleuten aus dem Allgäu, die als Helfer hier waren und ihre Arbeitskraft und das Material für das Projekt anboten. Harald Knieps war spontan angetan, suchte und fand Mitstreiter. Sie planten, organisierten, fanden den richtigen Ort, bekamen ein Grundstück und die Baugenehmigung.

Knieps: Die Kapelle dient einfach ganz ganz immens der Besinnung der 134 Todesopfer aus dem Flutgeschehen. Sie soll ein Rückzugsort sein, es soll ein Ort der Besinnung sein. Der Ort soll zum Verweilen da sein. Einfach, wo man sich mal zurückziehen kann, ohne mit irgendeinem irgendetwas zu bereden sich einfach hier in die Natur zu setzen und gleichzeitig auch, ich sag mal, auf dies Geschehen herunterzublicken, weil von hier aus haben wir ja einen fantastischen Blick auf die Ahr mit immer noch allen Hinterlassenschaften, die da sind.

Noch gibt es hier oben erst das Fundament, aber die Zimmerleute aus dem Allgäu sind unterwegs, und Harald Knieps ist sicher: Am zweiten Jahrestag der Flut wird die Kapelle vom Trierer Bischof Ackermann eingeweiht werden. Donatuskapelle soll sie heißen, nach dem katholischen Schutzheiligen für Unwetter. Sie wird vor allem der Erinnerung dienen – allen Menschen, die zukünftig hierherkommen.

Knieps: Ich will nicht, dass man irgendwann mal so das Buch zuschlägt und sagt, da hatten wir mal ne Flut. Man darf ja eins nicht vergessen: Es sind ja nicht nur 134 Menschen, ja, bis zum kleinsten Kind, bis zum Säugling sind hier Menschen, die ihr Leben noch vor sich hatten, die hat die Flut mitgerissen. Und daran sollte man einfach denken. Und auch über viele, viele lange Jahre.


Vom Rotweinwanderweg oben in den Weinbergen geht mein Blick zum Hang gegenüber. Auf einer Wiese steht da in großen Buchstaben ein Wort, mit einem riesigen Herz verziert: Danke! Dieses Wort habe ich auf meinem Weg durchs Ahrtal so oft gesehen und gehört: Danke. Auf großen Plakaten oder auf einem kleinen vergilbten Zettel an einer Haustüre – immer wieder: „Danke allen Helfern!“

Riedel: Es klingt eine unfassbar große Dankbarkeit nach, und auch bis heute, wenn Sie mit Leuten sprechen, manchmal auch so eine Verblüffung: Wahnsinn, damit hätten wir nie gerechnet, dass sich Leute aus Bayern aufmachen, oder aus dem Norden, und einfach hier hinkommen, und ohne etwas dafür zu verlangen, mit anpacken, uns helfen. Auch über diese Spendenbereitschaft wird bis heute wahnsinnig gestaunt, und da gibt’s ne große Dankbarkeit.

Diese Dankbarkeit bleibt eine große Kraftquelle. Die guten Erfahrungen der Hilfe, der Solidarität, der Nächstenliebe wirken weiter und verbinden die Menschen miteinander: in der Nachbarschaft, in den Dorfgemeinschaften. Die sind hier an der Ahr schon immer stark gewesen, und jetzt eher noch stärker geworden, erzählt Julia Riedel.

Riedel: Ich glaube, die waren vorher schon eng miteinander verwoben. Und haben daraus gelernt, dass das was bringt, eng miteinander zu sein. Den Nachbarn auch zu kennen. Genauer hinzugucken. Aufeinander zu achten. Und dass das nicht nur dem anderen was bringt, sondern auch einem selber. Also ich glaube, ne große Bestätigung von diesen Selbsterhaltungskräften sozusagen ist dagewesen, also so ne Selbstvergewisserung und Selbstbestätigung: So, wie wir hier leben, tut uns das gut und ist das gut für uns und unsere Zukunft.


Ich stehe wieder auf der Höhe über dem Ahrtal. Ein kräftiger Schauer hat mich erwischt, ich muss mein Regenzeug überziehen. Doch schon bald zieht die dunkle Wolke weiter. Hinter mir kommt wieder die Sonne durch. Und da sehe ich ihn: den Regenbogen. So oft habe ich ihn im Ahrtal gemalt gesehen, auf einer zerstörten Hauswand, auf Plakaten, auf Kinderbildern. Und jetzt steht hoch über dem Tal dieser weite, bunte Bogen. Seit Noahs Zeiten das Zeichen von Gottes Bund mit allem, was lebt. Das Versprechen, dass das Leben bleibt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Martin Tingvall: First Steps, CD-Titel: The Rocket, Track Nr. 2.
  2. Martin Tingvall: Hope, CD-Titel: The Rocket, Track Nr. 1.
  3. Martin Tingvall: Echoes from the past, CD-Titel: The Rocket, Track Nr. 9.
  4. Martin Tingvall: Floating, CD-Titel: The Rocket, Track Nr. 4.
  5. Martin Tingvall: Tales, CD-Titel: The Rocket, Track Nr. 12.
  6. Martin Tingvall: Goodbye for Now, CD-Titel: The Rocket, Track Nr. 14.
03.07.2023
Jost Mazuch