"So muss man leben!“

"So muss man leben!“

Gemeinfrei via pixabay.de (Couleur)

"So muss man leben!“
Zum 200. Geburtstag des Dichters Theodor Fontane
30.06.2019 - 07:05
07.02.2019
Barbara Manterfeld-Wormit
Über die Sendung:

Fontanes Romane und Erzählungen kreisen oft um zentrale christliche Themen wie Schuld und Vergebung. Bekannt sind aber auch seine - oft tragischen - Heldinnen, die sich durch Mut auszeichnen und die an Neid, Missgunst, Moral und Standesdünkel scheitern. Wer Brandenburg und Berlin liebt, kommt bei Fontante ebenfalls auf seine Kosten. Und selbst über Achtsamkeit kann man von ihm etwas lernen.

 

 

Sendung nachhören

 

Sendung nachlesen:

Die arme Else

Die Mutter spricht: „Lieb Else, mein, du musst nicht lange wählen;

man lebt sich ineinander ein, auch ohne Liebesquälen;

Manch eine nahm schon ihren Mann, dass sie nicht sitzen bliebe,

und dünkte sich im Himmel dann, und – alles ohne Liebe.“

 

Jung-Else hört´s und schloss das Band, das ew`ge, am Altare,

es nahm zur Nacht des Gatten Hand den Kranz aus ihrem Haare;

Ihr war zu Sinn, als ob der Tod zur Opferbank sie triebe,

sie gab ihr alles, nach – Gebot, und – alles ohne Liebe.

 

Der Mann ist schlecht; er liebt das Spiel und guten Trunk nicht minder,

sein Weib zu Hause weint zu viel, und ewig schrei´n die Kinder;

spät kommt er heim, er kost, er – schlägt, nachgiebig jedem Triebe,

sie trägt`s, wie nur die Liebe trägt, und – alles ohne Liebe.

 

Sie wünscht sich oft, es wär` vorbei, wenn nicht die Kinder wären,

so aber sucht sie immer neu, den Gatten zu bekehren;

sie schmeichelt ihm, und ob er dann auch kalt beiseit` sie schiebe,

sie nennt ihn „ihren liebsten Mann“, und – alles ohne Liebe. (1)

 

 

Der Apostel Paulus schreibt im 1. Korintherbrief:

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles… Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei: aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

(Lutherbibel 2017, 1. Korinther 13, 4-7.13)

 

Mit seinen Frauengestalten hat er mich gekriegt: Theodor Fontane. Lange bevor eine gute Portion Lokalpatriotismus noch dazukam, denn in Berlin, meiner Geburtsstadt hat er gelebt und gearbeitet – im nahen Neuruppin wurde er geboren. Die Brandenburger Streusandbüchse, wie er die Märkische Landschaft liebevoll bezeichnete, hat er selber durchwandert und ihr in seinen Wanderungen durch die Mark ein literarisches Denkmal gesetzt. „Meine Gräber liegen weit zerstreut, weit zerstreut über Stadt und Land, schreibt er darin, „aber all in märkischem Sand.“ (2) Am 30. Dezember jährt sich sein Geburtstag zum 200. Jahr – Grund genug für ein ganzes Fontanejahr - und alle feiern mit. Auch die Kirche, denn viele Kirchen hat er auf seiner Wanderschaft besucht und liebevoll beschrieben. Er selber war seit 1836 Mitglied der französisch-reformierten Gemeinde. Ein eifriger Kirchgänger war er nicht, bekannte sogar gelegentlich, „persönlich ganz unchristlich“ zu sein. Dennoch begegnen uns in seinen literarischen Werken viele Pastoren. Vor allem aber kreisen seine Romane und Erzählungen oft um zentrale christliche Themen wie Schuld und Vergebung. Und so schwärmt auch Markus Dröge, der als Bischof für Berlin und Brandenburg heute qua Amt auf Wanderung durch die Mark ist, für den Dichter und Apothekersohn aus Neuruppin:

 

Markus Dröge:

„Also ich hab schon als Jugendlicher gelesen, Effi Briest, das hat mich sehr bewegt: Eine Frau, die, weil sie den Moralvorstellungen ihrer Zeit – der Wilhelminischen Zeit – nicht entsprochen hat, verachtet wurde, ausgegrenzt wurde… die ganz anders behandelt wurde, als Jesus es sagt: Als eine Frau mit Fehlern - die Bibel sagt: die Sünderin – ihm vorgeführt wurde, sagt er: Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein! Das hat mich sehr berührt, weil meine Großmutter, die selber in wilhelminischer Zeit noch aufgewachsen ist, unschuldig geschieden war, wie man das damals nannte, und trotzdem ausgegrenzt wurde, weil man eben Moralvorstellungen hatte: geschieden sein geht nicht! Und das hat mich sehr bewegt, weil es sehr einfühlsam in diesem Roman beschrieben ist und weil darin letztlich auch christliche Werte vermittelt worden sind: Wie gehen wir miteinander um? Verurteilen wir uns gegenseitig oder handeln wir tatsächlich barmherzig miteinander!“

 

 

Es war einen Monat später…die Sonnenuhr war fort, und an der Stelle, wo sie gestanden hatte, lag seit gestern eine weiße Marmorplatte, darauf stand nichts als „Effi Briest“ und darunter ein Kreuz. Das war Effis letzte Bitte gewesen: „Ich möchte auf meinem Stein meinen alten Namen wieder haben; ich habe dem andern keine Ehre gemacht.“ Und es war ihr versprochen worden… Rollo lag daneben, den Kopf auf die Pfoten gestreckt. Frau von Briest hatte mittlerweile den Kaffee eingeschenkt und sah nach dem Rondell und seinem Blumenbeete… „Ich kann dir sagen, es vergeht kein Tag, seit das arme Kind da liegt, wo mir solche Fragen nicht gekommen wären…“ „Welche Fragen?“ „Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind?“ „Unsinn, Luise, wie meinst Du das?“ „Ob wir sie nicht anders in Zucht hätten nehmen müssen? Gerade wir…. Und zuletzt, womit ich mich selbst anklage, … ob sie nicht doch vielleicht zu jung war?“ Rollo, der bei diesen Worten aufwachte, schüttelte den Kopf langsam hin und her, und Briest sagte ruhig: „Ach, Luise, laß… das ist ein zu weites Feld.“ (3)

 

Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose hat uns im gesetzt geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? …

Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie ihn nun beharrlich so fragten, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie das hörten, gingen sie hinaus, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. Da richtete Jesus sich auf und sprach zu ihr: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

(Lutherbibel 2017, Johannes 8, 3-11)

 

 

Das war Musik vom Club der toten Dichter. „So und nicht anders“ – lautete der Text frei nach Fontane. Die Sängerin Katharina Franck – einst Stimme der Band Rainbirds – lebt heute in der Nähe von Neuruppin, der Geburtsstadt Theodor Fontanes. Zusammen mit dem Gründer und Komponisten des Clubs der toten Dichter Reinhardt Repke vertonte sie die ersten Gedichte Fontanes neu. Ihre Musik begleitet durch diese Sendung.

„So und nicht anders“ – das ist auch das Motto vieler Helden aus Fontanes Romanen und Gedichten. Er selber sagte selbstbewusst und ganz im Einklang mit sich und der Welt:

Und doch, wär`s in die Wahl mir gegeben, ich führte noch einmal dasselbe Leben. (4)

 

Seine – oft tragischen - Heldinnen heißen Effi, Grete, Magdalene. Starke Frauen, die an Neid, Missgunst, Moral und Standesdünkel scheitern. Sie folgen ihrem Gefühl – und zahlen dafür einen hohen Preis in einer Gesellschaft, in der Ehen noch aus Standesgründen geschlossen und soziale Unterschiede als unüberbrückbar galten. Sie sind meist mutiger als die Männer und: ehrlicher. Wie Magdalene Nimptsch. Sie stammt aus armen Verhältnissen und muss den Geliebten ziehen lassen, der sich – standesgemäß – verlobt hat. Mit einer Frau, die zwar reich und hübsch anzuschauen ist, mit der er sich sonst aber – anders als mit Lene – wenig zu sagen hat. Es kommt die Stunde des Abschieds:

 

Er umarmte sie. „Du bist so gut.“ Lene aber fuhr im ruhigen Tone fort: „…Ich hab es so kommen sehen, von Anfang an, und es geschieht nur, was muss. Wenn man schön geträumt hat, so muss man Gott dafür danken und darf nicht klagen, dass der Traum aufhört und die Wirklichkeit wieder anfängt. Jetzt ist es schwer, aber es vergisst sich alles oder gewinnt wieder ein freundliches Gesicht. Und eines Tages bist du wieder glücklich und vielleicht ich auch.“ – „Glaubst du`s? Und wenn nicht, was dann?“ – „Dann lebt man ohne Glück.“ (5)

 

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: …abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit, klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;… herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; … schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit… Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.

(Lutherbibel 2017, Prediger 3, 1 ff. in Auszügen)

 

Für viele gehörte dieses Gedicht noch zum Stoff, den man an der Schule auswendig lernte: die Ballade von John Maynard – die Geschichte vom Steuermann, der sein Leben gibt für die Besatzung des Schiffes – und alle an Bord rettet – Männer, Frauen, Kinder – durch seinen Mut und seine Opferbereitschaft. Die Ballade beginnt wie Luthers Katechismus, mit Frage und Antwort.

 

Doch plötzlich sind die Herzen an Deck nicht mehr „frei und froh.“ Es bricht Feuer an Bord aus. Panik kommt auf. Das rettende Ufer ist noch nicht erreicht. Der Steuermann bleibt auf dem Posten – und steuert das Schiff mutig an Land. Am Ende sind alle gerettet - nur einer fehlt.

 

Alle Glocken gehen; ihre Töne schwell`n himmelan aus Kirchen und Kapell`n,

ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt, ein Dienst nur, den sie heute hat.

Zehntausend folgen oder mehr, und kein Aug im Zug, das tränenleer.

Sie lassen den Sarg in Blumen hinab, mit Blumen schließen sie das Grab.

Und mit gold`ner Schrift in den Marmorstein schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:

„Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand hielt er das Steuer fest in der Hand,

er hat uns gerettet, er trägt die Kron, er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.

John Maynard. (6)

 

 

Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!

Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich meines Vaters Gebote gehalten habe und bleibe in seiner Liebe.

Das habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde.

Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe.

Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde…

Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.

(Lutherbibel 2017, Johannes 15, 9 ff. in Auszügen)

 

Theodor Fontanes Ballade von John Maynard ging in die Schulbücher ein. Bis heute lernen Schüler sie auswendig. Die Geschichte von Effi Briest diente als Vorlage für zahlreiche Literaturverfilmungen im Kino - zuletzt im Jahr 2009 mit Sebastian Koch in der Rolle des gefühlskalten Baron Instetten und Julia Jentsch als leidenschaftliche Effi. Heute rückt Fontane zunehmend nicht nur als heimatverbundener Schriftsteller und aufmerksamer Zeitgenosse der damaligen Moral und Gesellschaft in den Blickpunkt, sondern auch als reiselustiger europäischer Weltbürger. Markus Dröge ist evangelischer Bischof im Fontaneland Berlin und Brandenburg. In seiner Freizeit radelt er gerne durch die Mark. Fontanes Seen hat er mit dem Boot erkundet. Fasziniert ist er aber besonders von der Achtsamkeit und Aufgeschlossenheit, mit der Fontane damals schon in den europäischen Nachbarländern unterwegs war:

 

Markus Dröge:

Man kann natürlich nicht sagen, dass er ein Europäer ist, wie wir heute Europäer sind, denn er lebte ja in einer Zeit, wo die Nationalstaaten sich entwickelt haben, wo man mit viel Nationalstolz gelebt hat, wo es auch die Kriege gab zwischen Deutschland und Frankreich. Das Besondere bei ihm ist aber, dass er gelebt hat in London als Korrespondent, gelebt hat in Frankreich in der Kriegsberichterstattung und überall mit sehr viel Einfühlungsvermögen die Menschen beschrieben hat, und das ist - glaube ich – von innen heraus das, was wir auch als europäische Werte betrachten, nämlich die Würde jedes einzelnen Menschen, aus unterschiedlichen Nationen kommend, auch mit unterschiedlicher Kultur und Sprache. Das sind die europäischen Werte und die müssen wir heute wieder stark machen auch gegenüber denen, die wieder nationalistisch denken. Also er war kein Europäer wie heute, aber er hat viele Werte schon gelebt, die uns heute wichtig ist und die wir heute wieder verteidigen müssen.

 

„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen.“ Das hab ich an mir selber erfahren und die ersten Anregungen zu diesen „Wanderungen durch die Mark“ sind mir auf Streifereien in der Fremde gekommen. (7)

 

„Je älter ich werde“, schreibt der 66jährige Theodor Fontane in einem Brief an seine Frau Emilie, „je älter ich werde, je tiefer empfinde ich, alles ist Glück und Gnade, das Kleine so gut wie das Große…“ (8) Eine Erkenntnis, die weitergesagt werden darf – in einer Zeit, die einerseits zu Größenwahn und Überheblichkeit neigt und dabei gerne das Kleine übersieht. Fontane hatte einen behutsamen Blick für beides. Seine Gabe, Menschen wahrzunehmen, so wie sie nun einmal sind – mit all ihren Fehlern und Schwächen und menschlichen Unzulänglichkeiten, seine Achtsamkeit und Freiheitsliebe, sein offenes Auge und weites Herz für die Schönheit der Natur und Gottes reiche Schöpfung sind gute Begleiter im Urlaubsgepäck.

 

So muss man leben!

Die kleinen Freuden aufpicken,

bis das große Glück kommt.

Und wenn es nicht kommt,

dann hat man wenigstens

die „kleinen Glücke“ gehabt.(9)

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Hangen und Bangen, Reinhard Repkes Club der toten Dichter, Theodor Fontane neu vertont. So und nicht anders.
  2. So und nicht anders, Reinhard Repkes Club der toten Dichter, Theodor Fontane neu vertont. So und nicht anders.
  3. John Maynard, Reinhard Repkes Club der toten Dichter, Theodor Fontane neu vertont. So und nicht anders.
     

Literaturangaben:
 

  1. Burkhard Spinnen, Und alles ohne Liebe. Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen. Frankfurt am Main 2019, S. 7f.
  2. Theodor Fontane zit. nach Michael Ruetz, Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Stuttgart 1992, S. 128.
  3. Theodor Fontane, Effi Briest. Weltbild-Bücherdienst. Stuttgart, S. 316 f.
  4. CD Club der toten Dichter, Coverbook
  5. Theodor Fontane, Irrungen, Wirrungen. Weltbild-Bücherdienst Stuttgart, S. 93.
  6. CD Reinhard Repkes Club der Toten Dichter, Coverbook
  7. Theodor Fontane zit. nach Michael Ruetz, Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Stuttgart 1992, S. 20.
  8. Zit. nach Wilhelm Hüffmeier, Alles ist Gnade. Brandenburg feiert 200 Jahre Theodor Fontane. Wie hielt es der Dichter mit der Religion? Aus: Die Kirche. Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische Oberlausitz 6.1.2019, S. 3.
07.02.2019
Barbara Manterfeld-Wormit