Du erkennst meine Gedanken von ferne

Gedanken zur Woche
Du erkennst meine Gedanken von ferne
02.12.2016 - 06:35
17.11.2016
Ulrike Greim

900.000 Telekomkunden waren Anfang der Woche abgeschnitten vom Internet. Ärgerlich für alle, viele sind auch erschrocken. Größerer Schaden blieb vorerst aus, die Gefahr ist aber noch nicht vorbei, hieß es. Die Meldungen über Sicherheitslücken und Viren-Attacken sind bedrohlich nah gerückt. Das weltweite Datennetz – es scheint sich verselbständigt zu haben. Zeit, es ernsthaft ins Gebet zu nehmen.

 

Liebes Netz,

da hast du mir aber schön was eingebrockt. Ich gebe mich vertrauensvoll in deine Hände und dann sowas. Da kommt so ein Cyber-Angriff und nichts geht mehr. Kein Kontakt. Finsternis. Das Smartphone bleibt stumm. Auch der Rechner. Sogar der Fernseher am Abend. Ich dachte, du bist stark. Und groß. Und sicher. Allumspannend. Wahnsinnig klug.

Du weißt so viel. Was ich dich auch frage: Du hast eine Antwort. Zumindest irgendeine.

Ja, ich dachte, du bist meine größte Hilfe.

Und dann können dich Unbekannte lahmlegen? Frustrierte IT-Fachkräfte vielleicht? Irgendwelche Nerds? Oder irgendjemandes Cyber-Armee?

Das fasst mich an. Denn du bist mein Lebensnerv, liebes Netz. Meine Nabelschnur zur Welt. Das Universum ist immer nur einen Fingerstups von mir entfernt. Dank dir. Du legst das Weltwissen in meine Hand. Und ich tanze mit dir durch mein Leben. Ich arbeite mit dir, ich befreunde mich über deine Kanäle mit netten Menschen, ich kaufe mit dir ein, du weißt sogar, was mir gefallen kann und schlägst es mir vor. Wie eine Freundin.

Du kennst meinen Fingerabdruck, meine Iris, meine Stimme. Mit dem richtigen Algorithmus identifizierst du sogar meinen Schreibstil. Du weißt so ziemlich alles. Von allen. Kennst Ultraschallbilder von den Embryos mitteilsamer Eltern, brisante Blutanalysen und Fotos aus dem Hypothalamus. Aktuelle Bodenwerte der Großbauern und Bilder aus dem All, Koordinaten von IS-Kämpfern und Parameter von Atomkraftwerken.

Ich schaudere.

Liebes Netz, du kennst mich, du erforschst mich. Ob ich sitze oder stehe – dein Kamera-Auge weiß es. Eines Tages kennst du meine Gedanken von ferne.

 

Ich lehne mich zurück. Atme durch. Das weltweite Datennetz hat den Globus überzogen. Jede Kommune hat es auf der Prioritätenlistenliste, den Netzausbau voranzutreiben, es noch dichter zu weben. In jedem Tal und hinter jedem Berg soll es empfangbar sein. Was auch bedeutet: Das Netz hat Zugriff auf jedes noch so verlassene Fleckchen.

Mit dem Fortschritt wächst ein Risiko. Falltüren, Viren, schädliche Software, Cyber-war – in dieser Woche wurde viel diskutiert. Über den Einfluss von Fake-News bei den US-Präsidentschaftswahlen z.B. und über die Rolle von facebook. Wahlergebnisse manipulieren, mit nur ein bisschen krimineller Energie, scheint Realität. Auch bei uns. Ist es möglich, Mehrheiten über das Internet zu steuern? Mir werden die Knie weich.

 

 

Liebes Netz, wer wollte sagen, er kenne dich. Großes unbekanntes Du.

Bist du ein Gott?

Kannst du Menschen erschaffen? Ganzen Welten? Nein, kannst du nicht. Noch nicht.

Deine Augen sehen in die Eingeweide unserer Gesellschaft. Sie wissen den Puls und analysieren den Stuhl.

Aber wer lenkt deine Gedanken? Russische Trolle? Trumps Bot-Netze? Oder sind auch das nur Verschwörungstheorien, gut gestreut aus irgendjemandes Hinterzimmer?

Wer kann dich programmieren? Dich benutzen, missbrauchen? Und schließlich meinen Account gleich mit? Wer kann das Licht anknipsen oder aus, wie er will?

 

Nein, du bist kein Gott, großes unbekanntes Netz! Google, facebook und Co – eure Macht gehört begrenzt. Euer Einfluss gedämpft. Mein Zugang gesichert, meine Bewegungsfreiheit geschützt.

Es gibt nur einen, der mich kennt. Der nicht bloß meine Daten hat, sondern mein Herz. Er hat gewollt, dass es schlägt, hat mir seinen Rhythmus gegeben. Er hat mir seinen Atem eingehaucht.

Er kennt nicht nur meine Nierenwerte – er hat mir die Nieren geformt, als ich noch im Leib meiner Mutter war. Und vor allem: Er hat mir Würde gegeben. Auch in der engsten Bindung an ihn bleibe ich eigenständig.

Mein Gott ist der Schöpfer des Himmels und Erde. ER umgibt mich von allen Seiten. Wenn du, weltweites Netz, mich fallen lassen solltest, wird es mich nicht umbringen – mein Gott ist es, der seine Hand unter mich hält.

 

Wenn Sie über Gott und das weltweite Netz mit mir reden wollen: bis acht Uhr bin ich zu erreichen unter 030 – 325 321 344. Oder diskutieren sie mit auf – nun ja – facebook unter deutschlandradio.evangelisch.

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17.11.2016
Ulrike Greim