Heimathilfe

00010001DvHKOLLq8GBzgzc71NBBHQuSl8scdW2Rt-8f4EJr8pWn000000248479

Gemeinfrei via unsplash/ Annie Spratt

Heimathilfe
Über das soziale Netz der Familie
08.01.2021 - 06:35
07.01.2021
Jörg Machel
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen:

Seine Familie sei auf das Geld angewiesen, so erklärte mir der Afrikaner, der im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg kleine Cannabistütchen verkauft. Er schäme sich dafür, und wenn seine Familie wüsste wie er das Geld für sie verdiene, würde sie es nicht annehmen. Ob ich ihm nicht einen ordentlichen Job besorgen könne, so bat er mich. Seinen Namen und woher er stammt, das wollte er mir vorsichtshalber nicht sagen. Bei ihm sei alles ungeklärt und deshalb ist das hier im Moment seine einzige Chance.

 

So wie er sind weltweit Millionen Menschen unterwegs. Nicht um sich ein schönes Leben zu machen, sondern im Auftrag der Daheimgebliebenen, um dort in der Heimat deren Überleben zu ermöglichen. 265 im Mittelmeer gerettete Migranten hat das spanische Rettungsschiff „Open Arms“ gerade nach Sizilien gebracht. Ich höre wieder die Vorwürfe gegen die Seenotrettung – den Menschen solle besser in den Herkunftsländern geholfen werden.

 

Dabei geht es den meisten genau darum: nämlich das Überleben der Familie daheim zu sichern. Und dieser Auftrag ist eine kaum zu schulternde Last für viele Migranten. Die Großfamilie hat sich zusammengetan, um die Flucht in den reichen Norden zu finanzieren. Einheimische Beamte mussten bestochen werden, Fluchthelfer haben abkassiert und jeder Tag auf der Flucht kostet neues Geld. Damit sind Erwartungen verbunden und die lasten wie eine Hypothek auf den meist sehr jungen Männern.

 

Doch auch da, wo ganze Familien legal und dauerhaft bei uns leben, bleibt die Verbindung zur Heimat bestehen. Kontinuierlich fließt ein Geldstrom aus den reicheren Ländern in die Armutsgebiete der Welt. Nicht nur die westlichen Länder sind Ziele der Arbeitsmigranten. Wenn es die Möglichkeit gibt Not zu lindern, machen sich Menschen auf den Weg. Meist ohne die Absicht dauerhaft zu bleiben. Es geht um das Leben der Familie daheim, ein bisschen mehr Sicherheit, ein klein wenig mehr Wohlstand zu verschaffen, das ist ihr Auftrag.

 

Dilip Ratha leitet die Abteilung für Migration und Rücküberweisungen der Weltbank. Er schätzt, dass es 270 Millionen transnationale Migranten gibt, von deren Unterstützung 800 Millionen Menschen direkt oder indirekt abhängig sind. Die Rücküberweisungen in die Heimatländer übersteigen die gesamte westliche Entwicklungshilfe um mehr als das Dreifache.

 

Vor allem aber kommt das Geld da an, wo es gebraucht wird, ohne dass es in den Bürokratien dieser Länder hängen bleibt oder zweckentfremdet wird. Das Geld, von einfachen Menschen unter häufig miserablen Arbeitsbedingungen zu unserem Vorteil erwirtschaftet, hilft armen Ländern, sich zu stabilisieren.

 

So passiert also genau das, was sich auch die Kritiker der Seenotrettung wünschen: Hilfe im Herkunftsland. Migranten entwickeln ihre Herkunftsländer mit Rücküberweisungen. Obwohl die einzelnen Summen meist gering sind, bekämpfen sie gezielt den Hunger, fördern den Aufbau kleiner Existenzen, ermöglichen Kindern den Schulbesuch und stabilisieren die Gesundheitsversorgung.

 

Das soziale Netz der Familie setzt dort ein, wo andere Strukturen versagen. Es ist so alt wie die Geschichte der menschlichen Kultur. Die Bibel kennt ein eindrucksvolles Beispiel: Josef, der Sohn Jakobs, von den Brüdern verstoßen, kommt im Ausland zu Ansehen und Reichtum. Als eine Hungersnot die Familie daheim zu vernichten droht, begräbt er alte Zwistigkeiten und sichert ihnen allen das Überleben.

 

Ich fände es gut, wenn die Ministerien und Hilfsorganisationen die existierenden familiären Netzwerke als eine Ressource begreifen könnten und sie mit den staatlichen Hilfsprogrammen verknüpfen würden.

 

Diskutieren Sie mit, auf Facebook unter „Evangelisch im Deutschlandradio“.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Weitere Infos

07.01.2021
Jörg Machel