Keine Angst vor Veränderungen

Gedanken zur Woche

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Keine Angst vor Veränderungen
Gedanken zur Woche mit Pastor Matthias Viertel
20.09.2019 - 06:35
27.06.2019
Matthias Viertel
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Gleich drei große Ereignisse treffen heute aufeinander: Weltweit verbinden sich Aktivisten zu einem globalen Klimastreik; in Berlin verhandeln die Regierungsparteien über ihr Klimapaket; und in Frankfurt geht die Internationale Automobilausstellung allmählich zu Ende. Drei Ereignisse, die miteinander zu tun haben, weil es bei alledem um unser Klima geht. Gleichzeitig verdeutlicht dieses Nebeneinander aber auch die Misere, in der wir uns befinden.

Der Klimastreik treibt Menschen auf die Straße, weil sie Angst haben. Angst, dass die Erwärmung des Klimas die Zukunft unseres Lebens auf diesem Planeten gefährdet. Längst schon sind es nicht mehr nur Schülerinnen; kirchliche Initiativen, Firmen und Organisationen haben sich angeschlossen. Allein in Deutschland sind heute mehr als 450 Demonstrationen angekündigt.

Das Klimakabinett in Berlin versucht derweil, dieser Stimmung zu begegnen, auch aus Angst, nicht zuletzt um Wählerstimmen. Aber genau das ist das Problem, denn ob sich die Krise der Erderwärmung ohne Verbote allein durch neue Steuern lösen lässt, bleibt fraglich.

Ja, und die Automobilausstellung hält uns vor Augen, dass der Alltag wieder ganz anders aussieht. Noch nie waren in Deutschland so viele PKW angemeldet wie jetzt. Und es werden immer mehr SUVs, diese zu dick gewordenen Autos für Menschen, die offenbar Angst haben, Schwäche zu zeigen.

Es sind immer wieder Ängste, die den Alltag bestimmen, ob es nun um das Klima geht oder um die Politik, der wirkliche Lösungen nicht mehr zugetraut werden. Wenn Vertrauen verloren geht, nimmt Angst zu, und das schlägt sich auch im eigenen Verhalten nieder. Das ist der Weg, der viele in die Radikalität führt, zu Wut, Hass und Intoleranz gegen die anderen.

Die amerikanische Philosophin Martha Nußbaum hat dazu ein wichtiges Buch geschrieben. Darin zeigt sie auf, wie gefährlich Angst als treibende Kraft für die Demokratie ist. Das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der unüberschaubar gewordenen Probleme führt zu dieser Beklemmung, die sich in Zorn, Neid und Ausgrenzung bemerkbar macht. Und zwar auf allen Seiten, Martha Nußbaum zeigt auf, wie beide Seiten durch Ängste getrieben werden: Diejenigen, die sich für das Klima einsetzen und dabei Autofahrer und Vielflieger verteufeln, genauso wie jene, die wiederum diese Menschen verteufeln, weil sie andere zu Sündenböcken machen. So entstehen Fronten, die sich kompromisslos gegenüberstehen.

Toleranz findet man auf beiden Seiten selten, und deshalb plädiert Martha Nußbaum sozusagen als Gegenmaßnahme an alte Tugenden wie Toleranz, Mitgefühl oder Bescheidenheit. Kritiker haben der Philosophin deshalb schon mal vorgeworfen, ihre philosophische Analyse klinge wie das "Wort zum Sonntag". Die Beobachtung ist gar nicht so verkehrt, aber das muss ja nicht schlecht sein. Tatsächlich findet sich schon im Johannes-Evangelium der Satz Jesu: "In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden" (Joh 16,33).

Man könnte daraus so etwas wie Weltflucht herauslesen, aber das ist nicht gemeint. Anstelle von „getrost sein“ kann man hier übersetzen „standhaft sein“ oder „fest bleiben“. Die Welt überwinden bedeutet zuerst: Die Angst überwinden, die wirkliche Veränderungen verhindert, das zur Disposition zu stellen, woran wir im Alltag so verzweifelt festhalten: Dann brauche ich kein zu dick gewordenes Auto, um nicht übersehen oder bedroht zu werden; und keine Flugreise, um das persönliche Glück zu finden.

Die Zukunft ändern wir nicht durch Forderungen, sondern durch die richtigen Fragen. Zum Beispiel danach, was ich selbst tun kann. Auch wenn es global betrachtet nur der Tropfen auf den heißen Stein ist – wer weiß: Vielleicht höhlt der stete Tropfen vieler auch den heißen Stein. Jedenfalls wird Angst abgebaut. Und das verhilft zu einer Zukunft der Möglichkeiten. Es ist unser Klima und unsere Welt. Diskutieren Sie mit – auf Facebook unter „Evangelisch im Deutschlandradio“.

 

(Martha Nußbaum, Königreich der Angst. Gedanken zur aktuellen politischen Krise.  Darmstadt 2019.)

Es gilt das gesprochene Wort!

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27.06.2019
Matthias Viertel