Krisengipfel der Kirchen

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Krisengipfel der Kirchen
Gedanken zur Woche von Pastor Matthias Viertel
02.09.2022 - 06:35
11.06.2022
Matthias Viertel
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Die Kirchen kann man sich wie eine riesige Familie vorstellen. Man gehört irgendwie zusammen, aber trotzdem vertragen sich nicht immer alle. Manche Neffen 2. Grades und Großcousinen sieht man nur selten, andere treffen sich häufiger, schon weil sie in der Nähe wohnen. Teile der Familie sind über die Welt verstreut, so dass man einige gar nicht richtig kennt. Und dann wächst die Familie auch noch ständig, durch Hochzeiten kommen ganz neue Zweige hinzu. Wie gut, dass es die großen Feste gibt, da verliert man sich nicht ganz aus den Augen. Und handfeste Meinungsverschiedenheiten gibt es auch, sogar Streit. Aber trotzdem hält die Familie zusammen und man hilft sich gegenseitig, jedenfalls im Idealfall.

Die Kirchen, die sich als christliche Familie verstehen, haben sich im ökumenischen Rat zusammengefunden. Es ist eine sehr lange und bunte Liste von insgesamt mehr als 350 Kirchen. Dazu gehören die orthodoxen Christen, Baptisten, Mennoniten, Anglikaner, Protestanten, Freikirchen und viele mehr. Kirche - das wird hier deutlich – gibt es nur im Plural. Gemeint ist damit nicht nur die Vielzahl der Gesichter, Kulturen und Sprachen, sondern vor allem der Anschauungen. Immerhin werden hier mehr als eine halbe Milliarde Menschen vertreten.

Nun ist die Vollversammlung des Ökumenischem Rates der Kirchen nach Karlsruhe eingeladen. Großartig, dass mehr als 4000 teilnehmen: Christen aus Afrika, Asien und Amerika. So eine Vollversammlung tritt etwa alle acht Jahre zusammen und jetzt das erste Mal in Deutschland. Die letzte Sitzung war 2013, das war in Südkorea. Entsprechend groß ist dann auch die Liste der Probleme, die sich in der Zeit angesammelt haben. Sie alle sollen in Karlsruhe zur Sprache kommen. Drei Schwerpunkte stehen dabei im Vordergrund, es sind die Themen, die rund um den Globus Sorgen bereiten: Die Corona-Pandemie, die Klimakrise und der Krieg in der Ukraine.

Der liegt wie ein Schatten auf dem Welt-Ökumene-Gipfel(1). Es sind Delegierte der russisch-orthodoxen Kirche da – und Vertreter aus der Ukraine. Es stehen sich also Kriegsgegner gegenüber. Eine schwierige Situation: Immerhin hat die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland dem Moskauer Patriarchen „Gotteslästerung“ vorgeworfen.(2) Und Bundespräsident Steinmeier kritisiert in seiner Rede zur Eröffnung die Kirchenführung, sie „habe sich mit den Verbrechen gegen die Ukraine gemein gemacht.“(3)

Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, man werde Konflikte nicht ernst nehmen, und alles mit Harmonie übergießen. Das könnte tatsächlich so gelesen werden, wenn man das Thema der ökumenischen Vollversammlung liest: „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“.(4)

Im ersten Moment finde ich das etwas vollmundig: Die Kirchen sind ja nicht gerade die Instanzen, die weltweit nur zur Versöhnung beitragen. Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie der Spalt mitten durch die Kirchen geht. Aber dann, bei genauerem Betrachten erscheint mir das Motto sogar ausgesprochen mutig. Die Rede ist ja nicht von den Kirchen, sondern von der Liebe Christi. Die bewegt die Welt, eint und versöhnt. Wenn die Kirchen das adäquat verkörpern wollen, gibt es noch eine Menge zu tun.

Am Mittwoch hat das Treffen begonnen, es dauert noch eine Woche. Genügend Zeit, um miteinander Gottesdienste zu feiern, sich besser kennenzulernen, und um über die richtigen Wege für die Zukunft zu diskutieren. Wenn am Ende dann sogar gemeinsame Ziele herauskommen, ist es schön. Wichtig ist aber etwas anderes, nämlich die Haltung. Ich meine die Haltung, mit der Christen in Konflikten sich und anderen begegnen.

Sich trotz aller Meinungsverschiedenheiten nicht aus dem Weg gehen. Die Bereitschaft zum Gespräch behalten, trotz aller Verletzungen. Die globale Verbundenheit fühlen, auch wenn ich die anderen am liebsten aussperren möchte. Das ist eine Haltung, aus der Versöhnung entstehen kann. Alles andere kann dann folgen. Die Weltversammlung der Kirchen hat hier die Chance, voranzugehen. Politische Ergebnisse erwarte ich von den Politikern, von den Vertretern der Kirche aber die Haltung, die solchen politischen Prozessen vorausgeht.

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Literaturangaben:

  1. So ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca, epd Nr. 168 vom 31.08.22
  2. Epd-nachrichten. Zentralausgabe nr. 167 vom 30.08.22
  3. https://www.deutschlandfunk.de/steinmeier-eroeffnet-vollversammlung-in-karlsruhe-104.html
  4. 2 Kor 5,14

 

Es gilt das gesprochene Wort.

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11.06.2022
Matthias Viertel