Unterlassene Hilfeleistung

Flüchtlingsboote im Mittelmeer

Alessio Mamo // sea-watch.org

Unterlassene Hilfeleistung
Menschenleben sind nicht verhandelbar!
10.08.2018 - 06:35
19.06.2018
Jost Mazuch
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Maria trägt einen orangefarbenen Overall und eine Rettungsweste – zur Sicherheit, für alle Fälle. Auf dem Foto, das sie mir zeigt, steigt sie so ausgerüstet  in ein kleines Flugzeug. „Moonbird“ heißt die einmotorige Maschine, das Suchflugzeug der Rettungsorganisation Seawatch. Die Evangelische Kirche in Deutschland unterstützt den Einsatz dieses Flugzeugs maßgeblich, in diesem Jahr mit 100.000 Euro. Mit der Moonbird ist Maria viele Male als Beobachterin über das Mittelmeer geflogen. Ich kenne die junge Frau schon als Konfirmandin aus meiner Gemeinde; als Jugendliche hat sie sich hier engagiert. Jetzt, als angehende Medizinstudentin, hat sie entschieden:  Ich will nicht tatenlos zusehen, wenn so entsetzlich viele Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken.

 

Sie erzählt, wie sie von Malta aus Richtung Libyen geflogen sind. Über dieses Seegebiet, in dem immer wieder Flüchtlinge von Schleppern alleingelassen werden, auf überladenen Schlauchbooten oder kleinen Fischerkähnen. Viele haben keine Chance, das ersehnte Europa zu erreichen. Einer von 19 ertrinkt bei dem Versuch. 1)
Bei ihren Flügen suchte Maria zusammen mit dem Piloten die See nach Menschen ab, die in Not geraten sind. Sie sah dramatische Situationen: Boote, deren Motor ausgefallen war, die schon voll Wasser liefen. Hilflose Menschen. Vom Flugzeug aus meldete sie die Seenotfälle bei der zuständigen Leitstelle in Rom, die daraufhin die Rettungsaktionen von Küstenwache und anderen Schiffen koordinierte. Und bangte mit den Menschen da unten, bis sie endlich erfuhr, dass sie in Sicherheit waren.

 

Im vergangenen Jahr wären es ohne die Moonbird wohl bis zu 1000 Mittelmeertote mehr gewesen – ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommen hätte. 2)
Doch seit Anfang Juli haben die Behörden auf Malta ihre Rettungseinsätze verboten – ohne rechtliche Begründung. Auch Rettungsschiffe von Seawatch und anderen Organisationen wurden willkürlich festgesetzt. So soll offensichtlich aus politischen Gründen der Einsatz der Seenotretter verhindert werden – mit dem zynischen Kalkül: wenn weniger Retter da sind, kommen auch weniger Flüchtlinge. Und wenn kein Flugzeug mehr fliegt, berichtet auch niemand mehr über die Not der Ertrinkenden.

 

Für mich ist das eine barbarische Einstellung, die manche hier in Europa jetzt zeigen. Den Rettungsorganisationen wird unterstellt, sie würden das Geschäft der Schlepper unterstützen. Gegen alles internationale Recht werden sie daran gehindert, Menschenleben zu retten. Man lässt Menschen ertrinken, damit andere von der Flucht abgehalten werden. Was für ein politischer Offenbarungseid, was für ein unmenschlicher Abgrund!

 

Als Christ will und muss ich mich solchen Haltungen entgegenstellen. Nach meinem Glauben kann kein einziges Menschenleben verhandelbar sein. Man mag über Migration streiten, außenpolitisch und innenpolitisch. Aber unterlassene Hilfeleistung darf keine politische Option sein. Und darum bin ich froh, dass am vergangenen Samstag viele Menschen in über dreißig Städten dagegen aufgestanden sind. Day Orange hieß die Aktion mit dem Ziel: „Stoppt das Sterben im Mittelmeer.“ 

 

In Köln zog eine kleine Demonstration über eine Rheinbrücke. Menschen in orangefarbener Kleidung; manche trugen trotz der Sommerhitze Schwimmwesten. Orangefarbene Luftballons waren weithin zu sehen, und Schriftzüge: „Leben retten ist kein Verbrechen, sterben lassen schon“, stand da zu lesen. Und „Schafft sichere Häfen!“ Das Signalorange sollte an die Rettungswesten erinnern, die jetzt fehlenden Retter; und daran, dass die Seenotrettung im Mittelmeer weitergehen muss.

 

Ja, ich freue mich, dass viele mit mir den Mund auftun und dem Skandal nicht länger zusehen. Und ich bin froh, dass es Menschen wie Maria gibt, die ihre Zeit und Kraft für andere einsetzen, die in Not sind. Und dass meine Kirche sich klar und entschieden an ihre Seite stellt. Das ist wohl nur ein Anfang, aber einer, der Mut macht.

 

Was ist noch zu tun, um das Sterben im Mittelmeer und auf anderen Flüchtlingsrouten zu stoppen? Sie können darüber mitdiskutieren auf Facebook unter „Evangelisch im Deutschlandradio“.

 

1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/uno-organisation-mehr-als-1500-tote-fluechtlinge-im-mittelmeer-2018-a-1220551.html

2) https://www.ekd.de/moonbird-fluechtlinge-mittelmeer-36100.htm

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19.06.2018
Jost Mazuch