Wunderwasser

Wunderwasser

Rolf Zoellner (epd)

Wunderwasser
Demos und Wahlen – ist Frühling im Land?
19.10.2018 - 06:35
07.09.2018
Ulrike Greim
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Ist das ein Frühling? Die Temperaturen da draußen? Und die Stimmung im Land?

Wir haben Herbst, keine Frage. Aber gesellschaftlich – kann es sein, dass es Herbst WAR? Vielleicht auch schon Winter? Auch schon der Frost bis in die letzten Ritzen gekrochen ist und sich sogar eine Eisdecke auf das Zusammenleben gelegt hat, bis alles regungslos darunter erstarrte? Mir war so. Da war jede Diskussion zum Scheitern verurteilt, die Lager waren klar verteilt, die Argumente erwartbar und jede Bewegung unmöglich.

Aber da hat sich letzte Woche etwas gedreht, oder? Nicht heftig, aber doch ein klein wenig. Das hat sich vielleicht schon mit den 65.000 von Chemnitz angedeutet. Auf jeden Fall hat es sich letzten Samstag in Berlin mit den 240.00 unübersehbar gezeigt. Auch im Wahlergebnis in Bayern hat es sich niedergeschlagen, es bestimmt den Ton in den Koalitionsverhandlungen, er ist etwas vorsichtiger geworden. Und es ist in den Vorberichten zur Hessen-Wahl zu merken. Nuancen nur, aber immerhin: Es keimt der Verdacht, dass Wählerinnen und Wähler einen eigenen Willen haben und den auch deutlich machen. Ach guck: Er ist divers. Und gar nicht so fremdenfeindlich wie manche meinen. Das ist aktive Demokratie. Sie lebt von der Bewegung der Vielen. Nicht nur von den üblichen Verdächtigen. Oder den allzu lauten. Es hat sich gezeigt: Es geht um viele. Und wir müssen reden. Endlich.

So geht Demokratie. Wir wählen nicht nur, wir dürfen auch demonstrieren. Nicht hetzen – demonstrieren! Für etwas, gegen etwas. Wir dürfen nicht nur – wir müssen uns bewegen. Sonst schläft die Demokratie ein. Erstarrt. Im ungünstigen Fall für eine sehr lange und schreckliche Zeit.

Es war einmal ein kranker Mann. Lethargisch lag er da – Nahe an dem Wasser, dem andere Wunderkräfte zusprachen. Wie erstarrt. Gelähmt vom Unglück. Konnte nicht hineinsteigen und der Erste sein, wenn dieses Wasser sich wieder einmal bewegt und die da oben, die Ersten belohnt mit Glück und Heil. 38 Jahre lang, so erzählt es der Evangelist Johannes, lag der Mann da. Er hatte sich eingerichtet im Unglück.

Jesus sieht ihn liegen. Er geht zu ihm und fragt: Willst du gesund werden? Der Kranke sagt: Herr, ich habe niemanden, der mich zum Wasser trägt. Ich würde nie rechtzeitig kommen.

Die dauernde Enttäuschung steht ihm ins Gesicht geschrieben, hat sich in sein Herz eingezeichnet. Glück scheint rationiert. Und er hat eben Pech.

So hat er es erfahren. Und nun steht alles still. Ein Gefangener der Frustration.

Jesus sagt: Steh auf, nimm dein Bett und geh. (Joh 5, 1-17)

Wie viel Zutrauen in die Muskeln liegt darin, in das lädierte Herz, in den Wunsch zu leben, sich zu bewegen, frei zu sein. Wie viel Vertrauen dahinein, das Gott uns handlungsfähig geschaffen hat.

Wenn jemand das verlernt hat – wie lange braucht er, dieser Kraft wieder zu trauen.

Und der Kranke, so erzählt es das Evangelium, der Kranke wird gesund. Er nimmt sein Bett und geht.

Kann auch eine Gesellschaft aus der Erstarrung herauskommen? Die nur noch Schuldige sucht und sich in Reizwort-Themen verbeißt? Kann sie den Frust überwinden und die irrige Annahme, dass einen immer nur das Pech verfolgt und nie das Glück? Dass das Weltende nah bevorsteht und alles den Bach heruntergeht?

Sie kann.

Die Frage ist, ob sie will.

Oder ob die Beharrungskräfte, das Eingerichtet-Sein im Untergangsszenario nicht zu lieb geworden sind, weil ja auch so bequem. „Möge ein Heiland kommen und uns zum Wunderwasser führen.“

Nun, Jesus ist es nicht. Auch kein Politiker, keine Politikerin kann es je sein. Weil es nicht geht.

Das Wunder sind wir.

Das war eines der nettesten Transparente bei der #unteilbar-Demo in Berlin. Der Mann mit dem gelben Schild: „Die Revolution sind immer noch wir.“ Sehr charmant sah er aus.

Alle, die darauf warten, dass Freiheit und Glück per Paketbote frei Haus geliefert werden, müssen ent-täuscht werden. Wunderbar - frei von Täuschung.

Es kommt auf uns an.

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Es gilt das gesprochene Wort.

 

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07.09.2018
Ulrike Greim