Der verlorene Sohn

Morgenandacht
Der verlorene Sohn
10.07.2019 - 06:35
13.06.2019
Matthias Viertel
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Es muss ein Gefühl größter Scham gewesen sein, das in der Geschichte vom verlorenen Sohn am Ende auf überschäumende Freude traf. Der Sohn hatte seine Familie verlassen, den Vater brüskiert. Von der Fortführung der Familientradition wollte er nichts wissen, auch die religiösen Traditionen, die die Familie immer zusammengehalten hatten, waren ihm egal. Er wollte stattdessen etwas von der Welt sehen, etwas erleben, sich eine eigene Existenz aufbauen, seine persönlichen Vorstellungen vom Leben verwirklichen. Deshalb hatte er sich sein ganzes Erbteil vorzeitig auszahlen lassen, hatte alles andere zurückgelassen und war einfach losgezogen – in die Welt, oder was er dafür hielt.

Solche Situationen sind nicht ungewöhnlich. Und auch die Argumente gehören irgendwie zur Einstellung eines jungen Menschen, der sich vom Elternhaus lösen muss, um eigene Wege zu gehen. Aber im Falle von IS-Kämpfern, jungen Männer und Frauen, verlief der Weg noch dramatischer. Fast 1000 könnten es aus Deutschland gewesen sein, die nach Syrien zogen, als Kämpfer terroristischer Horden des selbst so ernannten islamischen Staates. (1) Sie landeten im Krieg, taten Schlimmes, erlebten selbst noch viel Schlimmeres. Und als das alles scheiterte, landeten sie in der Gosse, in der Gefangenschaft, im Nichts. Und die Debatte über eine Rückkehr dauert an.

In der biblischen Geschichte heißt es, dass der verlorene Sohn bei den Schweinen landete.

Ganz unten angekommen und von den Vorstellungen über ein heldenhaftes Leben in der Fremde korrumpiert, entschloss sich der biblische Sohn zurückzukehren. Nach Hause, zur Familie, ja auch zum Vater, dessen Leben er vehement abgelehnt hatte. Voller Scham machte er sich auf den Weg zurück nach Hause und in die Heimat, die ihm so schmählich verloren schien.

So ähnlich wird die Geschichte vom verlorenen Sohn im Neuen Testament erzählt, und auch wie sie weitergeht. Der Vater war überglücklich und stand voller Freude mit ausgebreiteten Armen da, um den heimkehrenden Sohn in Empfang zu nehmen. Seine überschwängliche Haltung ist nachvollziehbar, denn er hatte sich so um den Sohn gesorgt, konnte nachts nicht schlafen und Tagsüber an nichts anderes denken. Wenn die eigenen Kinder verloren gehen, löst das bei Vater und Mutter größte Schmerzen aus. Schon dass der Vater die Sorge um den Sohn mit dessen Rückkehr los war genügt, um seine Haltung zu verstehen. Er musste keine Angst mehr um sein Kind haben.

Aber der Bruder! Ihm gefiel das Ganze überhaupt nicht. „Wir nehmen ihn nicht zurück“, sagte er, „schließlich hat er alles verspielt, das Geld, das Vertrauen und die Fürsorge der Familie auch. Außerdem ist er ein Sicherheitsrisiko, man weiß nicht, was er hier alles anstellen wird. Wahrscheinlich ist er traumatisiert und wer einmal bei den Schweinen gelandet ist, dem könne man sowieso nicht mehr trauen.“

Die Gesellschaft in den Heimatländern tut sich schwer mit der Frage, wie mit ehemaligen Kämpfern des selbst ernannten Islamischen Staates umgegangen werden soll. Junge Söhne, und auch manche Tochter ist dabei, die verloren gegangen sind. Nun, nachdem die Terrortruppe des IS so gut wie geschlagen ist, sind viele auf der Strecke geblieben. Aus Deutschland sind es rund 1000 Menschen, die freiwillig in den Krieg gezogen sind, hier alles zurückgelassen haben und nun nicht mehr wissen wohin. Nicht wenige sind der Meinung, man müsse die Rückkehr der Terroristen nach Deutschland ablehnen, ein zu großes Sicherheitsrisiko.

Die Argumente der Bedenkenträger mögen zutreffen. Auch in der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn hat der zornige Bruder ja nicht Unrecht. Und doch geht die Geschichte dort am Ende anders aus. Der Vater bleibt der Vater, das Zuhause bleibt das Zuhause, und wer überhaupt nicht mehr weiß wo er hingehen soll, kommt nach Hause. Die Freude über den verlorenen Sohn, die der Vater am Ende empfindet, ist das Glück über die verlorenen Sorgen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

  1. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/deutsche-is-kaempfer-debatte-ueber-rueckholung-16048588.html
13.06.2019
Matthias Viertel