Die Vier in der Kirche

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Jametlene Reskp

Die Vier in der Kirche
mit Superintendent Jan von Lingen
28.04.2022 - 06:35
29.01.2022
Jan von Lingen
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Anderthalb Jahre war die Kirche wegen Renovierungsarbeiten geschlossen, es wurde fleißig gebaut. Nun feiern wir den ersten Gottesdienst nach der Innenrenovierung. Wir sitzen endlich wieder in den Bankreihen, die Orgel spielt, die Kerzen flackern und auf dem Weg zur Kanzel entdecke ich sie aus dem Augenwinkel: Die Zahl 4.

Sie hängt als einzige Zahl im Stecksystem, wo die Liednummern für Gesangbuchlieder angezeigt sind. Ob sie vergessen wurde? Hing sie anderthalb Jahren dort… - während die große Sixti-Kirche in Northeim renoviert wurde? Hing die Zahl 4 die ganze Zeit zwischen Staub und Lärm in ihrer Schiene, während die Handwerker ein und aus gingen?  

Zu Hause prüfe ich einige Baustellenfotos. Ich vergrößere Ausschnitte - und tatsächlich: Die Zahl 4 taucht immer wieder auf. Sie war beim Auszug aus der Kirche schlicht vergessen worden. Als wir in einem festlichen Gottesdienst Kreuz, Bibel, Leuchter aus der Kirche trugen, blieb die unscheinbare Zahl 4 zurück. Sie hing die ganze Bauzeit treu im Stecksystem für die Kirchenlieder. Anderthalb Jahre.

Was hat sie nicht alles beobachtet: Der gute Teppich im Altarraum wurde eingerollt. Die Kirchenbänke abgebaut und verstaut. Die Steinplatten nummeriert, abgehoben und gestapelt, um sie wiedereinzusetzen. Fenster wurden mit Folien überzogen und gesichert. Der Altar wurde eingehaust, die Kanzel staubdicht verpackt, die Orgel komplett verhüllt.

Und dann ging es erst richtig los. Rohre wurden verlegt, Kabel gezogen, Gerüste gebaut, Wände gestrichen, Lampen angebracht, Lautsprecher installiert und und und – mehr als 20 Gewerke gaben sich die Klinke in die Hand.

Aber die Zahl 4 ruhte während der gesamten Bauzeit auf ihrer Schiene. Und sie sah zu, wie die Kirche fertig wurde und auch die Bänke zurückkehrten. Dann haben Gemeindemitglieder gefegt, gewischt, gelacht, gesungen und an einem festlichen Sonntag endlich den ersten Gottesdienst gefeiert. Und immer schaute die Vier zu.

Ich habe gedacht: Das muss doch irgendeine Bedeutung haben! Andere Zahlen sind ja für ihre Symbolik gut bekannt: Eine 3 steht für die Trinität, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Eine 7 für die sieben Tage einer Woche oder für die 7 Tage der Schöpfungsgeschichte. 12 – das sind die 12 Stämme Israels oder die zwölf Jünger – aber die 4?

Auch die vier ist in der Zahlensymbolik eine besondere Zahl. Sie steht für die vier Elemente: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Und sie erinnert an die vier Himmelsrichtungen, damit steht die 4 für den gesamten Erdkreis. Vielleicht will sie ja sagen: Unsere Erde braucht Räume, in denen Menschen beten, feiern, singen und zusammenkommen können – so wie unsere Kirche in Northeim! Wir brauchen diese besonderen Orte. Und die Verbindung solcher Orte mit dem gesamten Erdkreis, über alle Grenzen hinweg in alle vier Himmelsrichtungen. Die Welt kommt in den Blick.

So auch in der Sixti-Kirche. Nach den ersten Festgottesdiensten folgten bald darauf Friedensandachten, wenige Tage nach Kriegsbeginn in der Ukraine. Wir beten regelmäßig für den Frieden. Eine Gruppe kümmert sich um Geflüchtete vor Ort. Das Gemeindehaus steht bereit als Angebot zum Treffen für Menschen aus der Ukraine. So findet der Weltkreis mit seinen Nöten Raum zwischen den mächtigen Säulen und dem hohen Gewölbe unserer mittelalterlichen Hallenkirche.

Die 4 ist übrigens weiterhin an ihrem angestammten Platz. Der Küster hat mir versprochen, sie nicht abzunehmen und in Ehren zu halten. Vielleicht ist sie ja eine Mahnung an uns: Behaltet die vier Himmelsrichtungen im Blick!

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

29.01.2022
Jan von Lingen