Die Wut, wenn das Ende bevorsteht

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Free Walking Tour Salzburg

Die Wut, wenn das Ende bevorsteht
Morgenandacht von Angela Rinn
25.03.2024 - 06:35
21.02.2024
Angela Rinn
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Mit dem Palmsonntag gestern hat die Karwoche begonnen. Sie wird in der Tradition auch „die stille Woche“ genannt. Dabei geht es – jedenfalls nach den Evangelien – in Jerusalem am Tag nach dem Palmsonntag alles andere als friedlich zu. Jesus zeigt sich von einer ungewohnten Seite. Er tobt und wütet, er ist sogar ungerecht und verletzend. Bekannt ist die Szene, in der Jesus voller Zorn die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel treibt. Weniger bekannt ist dagegen, dass Jesus einen Feigenbaum verflucht und ihn verdorren lässt, weil der Baum keine Früchte trägt. Die arme Pflanze ist dabei völlig unschuldig, denn es war an diesem Frühlingstag nicht die Jahreszeit für Feigen.

An diesem Montag in der Karwoche vor Jesu Tod am Kreuz ist es also alles andere als still in Jerusalem, vielmehr laut und ungemütlich. Die Jüngerinnen und Jünger sind mit einem Jesus konfrontiert, der ihnen fremd ist. Erschütternd. Trotzdem oder gerade deshalb haben sie diese Szenen festgehalten und nicht verschwiegen. Sogar nicht die Geschichte vom armen, verdorrten Feigenbaum. Und vom fluchenden Jesus.

Ich bin froh darüber, dass die Jüngerinnen und Jünger dies bewahrt haben. Sonst würde es heute nicht in der Bibel stehen. Jesus weiß, ahnt zumindest, dass sein Tod kurz bevorsteht. Noch vier Tage, und er wird am Kreuz sterben. Er flucht, bevor der Tag kommt, an dem andere ihn verfluchen werden, sein Leben verdorren lassen wie diesen Feigenbaum am Weg.

Wenn ich als Seelsorgerin Menschen begleitet habe, deren Leben sich dem Ende zuneigte, dann waren die nicht immer sanft. Nicht jeder akzeptiert ruhig eine schwere oder tödliche Krankheit, nimmt lebenssatt Abschied und stirbt friedlich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich meine, dass alle, die Menschen im Krankenhaus oder im Hospiz begleiten, auch das kennen: Diesen Zorn gegenüber denen, die weiterleben können. Eine bittere Wut, die ganz oft ungerecht wirkt und verletzend. Es gibt Sterbende, die zum Ende des Lebens ungeahnte Kräfte entwickeln und um jeden Atemzug kämpfen. Gegen den Tod. Und gegen die, die sie begleiten.

Ich denke: Für diese Menschen, für alle, die sich schwer tun mit einer bösen Krankheit und dem Sterben, für alle, die sie begleiten und pflegen, ist diese Geschichte vom ersten Tag der Karwoche festgehalten worden. Die Geschichte, wie Jesus einen Feigenbaum verflucht, weil der keine Früchte trägt. Jesus kennt auch das: Diesen Zorn darüber, dass man weiterleben will, aber nicht kann. Die Wut über den Tod, vielleicht auch die Scham darüber, ungerecht zu sein und in der Erregung gerade die zu verletzen, die am wenigsten dafürkönnen.

So kann die merkwürdige Geschichte von Jesus, der einen Feigenbaum verflucht, der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel treibt und ihre Tische umwirft, so kann diese Geschichte diejenigen trösten, die, todkrank, von ihren Gefühlen übermannt werden. Die sich dabei sogar selbst fremd werden. Wenn sie ihre Liebsten verletzen und vor den Kopf stoßen, obwohl sie das eigentlich gar nicht wollen.

Jesus kennt diesen Zorn. Kennt auch die Wut. Zeigt, dass das sein darf. Gut, wenn es Menschen gibt, die das aushalten. So wie die Jüngerinnen und Jünger, die - zumindest an diesem Montag der Karwoche in Jerusalem - bei ihrem Herrn geblieben sind.

Am Ende eines Lebens sind keine moralischen Appelle angebracht. Sterbende sollte man nicht erziehen. Wer weiß, wie es mir einmal geht, wenn das Ende meines Lebens kommen wird. Ich wünsche mir dann Menschen an meiner Seite, die Verständnis haben. Die mich, hoffentlich, lieben können. Zumindest ertragen mögen. Trotz allem.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

21.02.2024
Angela Rinn