Du sollst dich nicht fürchten!

Morgenandacht
Du sollst dich nicht fürchten!
06.02.2020 - 06:35
03.01.2020
Eberhard Hadem
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Das stärkste Hoffnungswort der Bibel sagen meistens Engel: Fürchte dich nicht! Kann man das so sagen, so anweisen? Kann man das Sich-nicht-Fürchten befehlen? Sind Engel nicht viel zu schwach gegenüber der Welt und ihren Tatsachen?

 

Manchmal habe ich einfach Glück, dass mir ein Mensch zuhört. Dann ist er in diesem Moment mein Engel, der für mich da ist, wenn ich abgrundtief traurig oder unsicher bin. Wenn er sagt: Fürchte dich nicht! Dann höre ich seine Mut machenden Worte. Nur glauben kann ich ihnen nicht immer. Doch auch wenn ich weiter traurig oder unsicher bin: Mit dem Wort vom Sich-nicht-fürchten kommt etwas Neues in mein Denken hinein. Ich kann vielleicht nicht den Grund für meine Traurigkeit ändern. Aber will ich mich selbst ändern? Sich allein schon diese Frage zu stellen, ist der Beginn einer Veränderung. Sich fürchten wäre Stillstand.

 

Andere geben mir einen Anstoß oder säen hoffnungsvoll einen Gedanken in mich wie den Samen einer Frucht in die Erde. Genauso treten die Engel der Bibel an Menschen heran. Und nun kommt es darauf an, ob ich den, der an mich herantritt, als Bote Gottes verstehe und ihn mit seiner Botschaft und seinen Fragen an mich heranlasse. Ob ich dem Trost des Engels glaube. Ob ich aufstehe, mich aufrütteln lasse; vielleicht erst einmal nur kleine Schritte gehe. Nicht mehr liegenzubleiben, weder geistig noch körperlich, das lockt mich. Ob ich der Verlockung des Engels vertraue, dass mir mehr möglich ist als das, was ich von mir selber weiß? Engel sagen: Fürchte dich nicht! Und das ist es doch gerade, was Engel sein können: Nämlich Störer meines festgefahrenen Denkens werden – wenn ich es zulasse.

 

Paul Klee hat von einer Zwischenwelt der Engel gesprochen. Für mich wäre es zu simpel, Engel als übernatürliche Flügelwesen zu bezeichnen. Mit ‚übernatürlich‘ verbindet sich oft die Erwartung der Hilfe von außen. Doch ein Engel spricht mich an, weil er etwas in mir in Bewegung bringen will. Das ist die Hilfe.

 

Deshalb ist es auch zu wenig, Engel nur als Bilder zu sehen, die mir auf einer aufgeklärten Ebene meines Bewusstseins etwas sagen. Egal, ob es ein innerer Vorgang oder ein Anstoß von außen ist – entscheidend bleibt, ob Sehnsucht in mir geweckt wird und ich in Freiheit gesetzt werde. Es will mich bewegen, dieses: Fürchte dich nicht!

 

Sich-nicht-fürchten gibt es nicht auf Rezept. Das ist eine tägliche Herausforderung. Paul Klees letztes Engelbild trägt den Titel „Zweifelnder Engel“; ein sehr persönlicher Engel, der seine letzten Zweifel kurz vor seinem Tod spiegelt. Die Augen dieses Engels hat er wie zwei Buchstaben gezeichnet: Das rechte Auge wie ein ‚D‘, das linke wie ein ‚U‘ geformt. Als würde er den Betrachter mit den eigenen Zweifeln konfrontieren: ‚Zweifelst du?‘

 

Bis zuletzt sind dem Maler Paul Klee die gebrochenen und innerlich zerrissenen Engel treue Begleiter gewesen. 7 Jahre vorher, 1933, haben ihm die Nationalsozialisten seinen Lehrstuhl als Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf entzogen. Er sei ein ‚entarteter‘ Künstler, lautete das vernichtende rassistische Urteil. Für Paul Klee war das die Lebenskatastrophe schlechthin.

Zwei Jahre nach seiner Entlassung als Professor zeigten sich bei ihm erste Anzeichen einer unheilbaren Krankheit: Sklerodermie, eine rheumatische Verhärtung der Haut, besonders an den Händen und im Gesicht, bei der die Haut erst starr wird, bis sie schließlich seine Finger zu einer Krall-Hand verformt. Damit war das wichtigste Werkzeug seiner Kunst betroffen. Gelenk- und Muskelschmerzen kamen dazu. Dennoch hat Klee mehr als 1.200 seiner Kunstwerke im Jahr 1939 geschaffen, ein Jahr vor seinem Tod.

 

Paul Klee lehrt mich, dass es sich lohnt, dem Gebot des Engels zu folgen und die Herausforderung anzunehmen – Fürchte dich nicht!

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2020
Eberhard Hadem