Einander verzeihen

Morgenandacht
Einander verzeihen
17.02.2021 - 06:35
11.02.2021
Annette Bassler
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

„Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Immer wieder zitiert jemand diesen Satz des Gesundheitsministers. Obwohl der ihn schon vor fast einem Jahr gesagt hat. Damals geriet Jens Spahn unter Druck, weil er zu wenig Gesichtsmasken bestellt hat. „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Hat er gemeint. Wenn die Pandemie mal vorbei ist, werden wir im Nachhinein noch viel mehr Fehlentscheidungen erkennen. Und damit werden wir umgehen müssen.

Noch ist die Pandemie nicht vorbei, aber es wird an vielen Stellen deutlich, dass manches hätte besser laufen können. Und viele sind darüber zornig, weil sie ja die Folgen dieser Entscheidungen tragen müssen. Die Eltern müssen jetzt die ganze Last der Bildung ihrer Kinder tragen, weil die längst fällige Digitalisierung der Schulen hinterherhinkt. Und weil die LehrerInnen nicht ausreichend vor Ansteckung geschützt werden, vielleicht durch eine bevorzugte Impfung. Die Selbständigen, die ihre Läden zuschließen mussten, müssen jetzt ihre Rechnungen zahlen. Und leiden darunter, dass die versprochenen Hilfen nicht angekommen sind. Von den Künstlern ganz zu schweigen, die sich jetzt irgendwie durchschlagen müssen und in keinem Hilfsprogramm vorkommen. Sie sind zornig, und zwar zurecht. Wer von denen Vergebung verlangt, hat nicht verstanden, was Vergebung ist.

Vergebung ist der Mittelpunkt des christlichen Glaubens. Jesus hat sein Leben dafür gegeben, dass Menschen einander vergeben können. Und zwar nicht nur einmal und gut ist. Sondern siebenmal siebzigmal. Also unendlich oft. Aber Vergeben ist etwas anderes als „Schwamm drüber“.

Zwei Voraussetzungen braucht es, damit Vergebung möglich ist. Erstens: Es braucht ein Bedauern und es braucht Reue. Wer anderen etwas angetan hat, das aber weit von sich weist, oder darauf besteht, nur Opfer oder Befehlsempfänger gewesen zu sein, dem kann auch nicht vergeben werden. Denn was soll man ihm auch vergeben, wenn er aus seiner Sicht nichts falsch gemacht hat. Zweitens: es braucht Verzicht. Wem etwas angetan worden ist, muss bereit sein, auf Rache oder Genugtuung zu verzichten. Dabei hilft sehr, wenn die Wahrheit schonungslos auf den Tisch kommt. Es braucht den Willen, es mit der Wahrheit dann auch gut sein zu lassen. Um Vergebung bitten und Vergebung gewähren, beides fällt leichter, wenn man sich dessen bewusst ist, was in der Bibel immer wieder betont wird: wir sind alle fehlerhaft, wir treffen alle falsche Entscheidungen, können das oft nicht sehen, weil wir nicht nur Splitter, sondern Balken vor den Augen haben.

Und so geht jeder Vergebung, zu der wir uns aufmachen, voraus, dass uns vergeben worden ist. Dass wir nicht auf unsere Fehler festgeschrieben worden sind, sondern eine neue Chance bekommen haben. „Vergib uns unsere Schuld - wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Heißt es im Vater unser.

Und darum geht es auch nach der Pandemie: dass wir all das, was nicht gut gelaufen ist, benennen, dass wir die Verantwortlichen nicht wie Sündenböcke in die Wüste jagen, sondern ihnen eine neue Chance geben. Und uns als Gesellschaft auch eine neue Chance geben.

Es ist wie in einer Familie, in der die erwachsen gewordenen Kinder die Fehler der Eltern erkennen. Auch erkennen, dass sie darunter zu leiden hatten. So eine Familie kann aber wieder zusammenwachsen, wenn die Eltern dazu stehen, was ihnen nicht gelungen ist. Was sie ihren Kindern schuldig geblieben sind. Und wenn die Kinder den Eltern vergeben, weil sie sehen, dass die es nicht besser konnten.

Und das wünsche ich uns als Gesellschaft. Dass wir die Wahrheit suchen und sein lassen, was nun mal so gewesen ist. Und dass wir miteinander das, was falsch lief, hinter uns lassen. Indem wir unsere Fehler auch zu schätzen lernen als das, was sie sind: ein weites Feld des Lernens. Insofern bin ich überzeugt: wir werden einander nicht nur viel verzeihen müssen, wir werden viel miteinander lernen können.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

11.02.2021
Annette Bassler