Glückliche Atheisten

Morgenandacht

Kurt Marti mit Dorothee Sölle und Adolf Muschg (v.l.n.r.), Bern 1989; Gemeinfrei via wikimedia commons/ Hektor Leibundgut

Kurt Marti mit Dorothee Sölle und Adolf Muschg (v.l.n.r.), Bern 1989

Glückliche Atheisten
31.01.2022 - 06:35
28.01.2022
Thomas Dörken-Kucharz
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Die Sendung zum Nachlesen: 

glücklich ihr atheisten!

 

Schreibt der Schweizer Schriftsteller und Pfarrer Kurt Marti.

 

glücklich ihr atheisten!

ihr habt es leichter

euch wirbelt kein gott

aus der bahn des schlüssigen denkens

kein glaube wirft schatten

auf eure taghelle logik

nie stolpert ihr

über bizarre widersprüche

kein jenseits vernebelt euch

die konturen der welt

nie seid ihr berauscht

von heiligen hymnen und riten

 

nie schreit ihr vergeblich

nach einem göttlichen wunder

oder stürzt ab ins dunkel

blasphemischen betens –

glücklich ihr atheisten! 

 

gern wäre ich einer von euch

jedoch, jedoch: ich kann nicht“ (1)

 

Ja, Kurt Marti konnte nicht – und er wollte auch nicht. Er blieb zeitlebens Pfarrer und Schriftsteller.

Und er versuchte zeitlebens Welt und Gott, Gott und die Welt zusammenzubringen: Auf der Kanzel, in Essays, Geschichten oder Gedichten. Kurt Marti entlarvte die Floskeln. Gerade auch die frommen Floskeln. Nein, so Kurt Marti in seinen „Leichenreden“, Gott hat es ganz und gar nicht gefallen, den oder die Verstorbene ‚zu sich zu rufen‘. So oder ähnlich heißt es noch immer, am Grab oder in der Todesanzeige. Wirklicher Trost sieht anders aus. Trost ist keine beschwichtigende Formel, mit der man die grundstürzende Situation der Trauer gern zu überspielen sucht.

Dogmen, Floskeln und Kirchensprech waren nichts für Marti. Er suchte seinen Glauben und seine Zweifel in ganz eigener Sprache auszudrücken. In seinen Gedichten lässt er Gott die Welt durcheinanderwirbeln, berauscht sich an Rhythmen, Worten und Wortspielen. Er stolpert gern über Widersprüche und sucht aus ihnen Funken der Hoffnung zu schlagen; aber keine vertröstende Jenseitshoffnung, sondern eine Auferstehung hier und jetzt. Ein Aufstehen gegen die Herren der Welt, denen das nicht passt. Marti wollte nicht rechtgläubig, sondern „echtgläubig“ sein. Er hat mit der Bibel und ihren Geschichten gerungen und sich immer wieder von Gott überraschen lassen. Und an eben diesem Gott hat Kurt Marti zeitlebens festgehalten. Er sah sich nicht als Dauerläufer des Glaubens, nur „kurze sprints“, meinte er, „hie und da“ (Kurt Marti, in „mutter unser“).

Doch gerade diese „Sprints“, seine Gedichte und theologischen Einfälle haben es in sich. Sie haben mich schon als Theologiestudent begeistert. Nicht nur, dass sie einfach schön zu lesen waren, sie haben mich davon befreit, nachplappern oder nachbeten zu müssen. Auch der Zweifel gehört zum Glauben und zu mir.

Kurt Marti bedeutet mir nach wie vor viel. Vielleicht kann ich es so beschreiben: Er ist Teil meines Gewissens geworden. Das klingt vollmundig, aber es gibt diese Marti-Instanz in mir, wenn ich Predigten oder Andachten schreibe. Dann stelle ich mir die Frage: Haben meine Gedanken und Worte – wenn schon nicht literarisch, so doch theologisch in der Wahrhaftigkeit vor ihm Bestand? Oder überspiele ich mit Floskeln Dinge, die ich selbst nicht so klar sehe oder wahrhaben will?

Heute wäre Kurt Martis 101. Geburtstag. Ich kann ihm nicht mehr gratulieren. Er selbst aber hat ein Gedicht mit fünf Glückwünschen geschrieben. Darin versucht er dem Glück auf die Spur zu kommen, Glück und Glauben zusammenzubringen. Glück buchstabiert er darin nicht auf Kosten anderer, sondern im Horizont des Wohles aller und des Glücks für viele:

 

glückwünsche

 

1.

daß du dir

(hie und da)

glückst

 

2.

daß Glück

dich nicht blende

für Unglücke

anderer

 

3.

daß Unglück

dich nicht verschlinge

für immer

 

4.

daß dir

(ab und zu)

ein Glück für andere

glücke

5.

daß dein Wunsch nicht sterbe

nach einer Welt,

wo viele (wo alle?)

sich glücken können (2)

 

Literaturangaben:

  1. Kurt Marti, Glücklichpreisung. In: zoé zebra. Neue gedichte, S. 75;
  2. Kurt Marti, Glückwünsche, in: Der Vorsprung Leben. Ausgewählte Gedichte 1959-1987,
    S. 141.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

28.01.2022
Thomas Dörken-Kucharz