Nachfolge

Morgenandacht
Nachfolge
27.10.2020 - 06:35
27.10.2020
Annette Bassler
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„Danke, dass ihr mir gefolgt seid, auch wenn es manchmal schwer auszuhalten war!“ Alea hat das auf ihrer Facebookseite gepostet. Und ich gehörte zu denen, die ihr gefolgt sind. Von Deutschland auf die Insel Lesbos ins Flüchtlingslager Moria.

Dort hat sie viele Bilder gemacht von Frauen und Kindern unter Plastikplanen und auf engstem Raum. Kinder ohne Schuhe in Pfützen. Sie hat die Lebensgeschichten der Menschen dort weitererzählt. Bis vor fünf Jahren hat Alea den Glanz von Hochzeitsfesten fotografiert. Jetzt fotografiert sie das Elend der Ärmsten, Menschen auf der Flucht vor Krieg und Hunger und Verfolgung.

Ich wollte ihr eigentlich nicht folgen auf Facebook. Ihre Bilder gingen mir zu sehr ans Herz und die Geschichten rührten mich zu Tränen und machten mich auch wütend. Aber Alea hat uns auf ihrer Facebookseite nicht nur ins Elend geführt. Sie hat uns auch eine ganz besondere Schönheit gezeigt. Die Schönheit und Liebe der Menschen dort. Die Würde, mit der sie ihre würdelose Unterbringung getragen haben. Alea konnte die Liebe in den Augen der Menschen sehen und sie hat sie uns gezeigt in ihren Bildern.

Als das Lager Moria abgebrannt ist, hat sie sofort ihre Sachen gepackt und ist wieder hin. Und ich bin ihr wieder gefolgt. Was sie dann gezeigt hat, war noch schwerer auszuhalten. Nicht nur die Menschen, die verletzt und nur knapp dem Feuer entkommen sind. Auch die Tatsache, dass die wenigen ehrenamtlichen Helfer vor Ort daran gehindert wurden zu helfen, Essen und Kleidung zu bringen.

„Was ihr einem der Geringsten unter euch getan habt, das habt ihr mir getan“, hat Jesus mal gesagt. Geflüchtete sind überall in der Welt die Geringsten. Sie stören die Ruhe derer, die eine Heimat und ein Auskommen haben. Sie erinnern an die Zerbrechlichkeit des Lebens und dass es kein Verdienst ist, in einem Land geboren worden zu sein, das in Frieden lebt.

Jesus sagt: „Was ihr den Geringsten tut, das tut ihr mir“. Jesus ist auch zu den Geringsten gegangen. Damals waren das die Aussätzigen, die Blinden und die Lahmen. Überall ist er hingegangen, ganz nah. Hat sich anfassen und anrühren lassen. Das mit anzusehen, war sicher nicht leicht. Und trotzdem sind ihm viele gefolgt. Nicht nur digital wie ich Alea gefolgt bin. Sie sind mitgegangen. Manche haben sogar ihr gutes Auskommen als Fischer, Handwerker oder Steuerbeamte aufgegeben.

Alea hat es nicht so mit Jesus, würde sich selber auch nicht als fromm bezeichnen. Aber sie muss da hin, sagt sie, es ist eine innere Stimme, der sie sich nicht entziehen kann.

Als ich ihr gefolgt bin auf Facebook, habe ich gesehen, wie sie Decken und Kleidung und Äpfel in die Zelte gebracht hat. Habe gesehen, wie sie Kinder und Alte in den Arm genommen hat. Habe die Schönheit dieser Menschen gesehen. Die Liebe in ihren Augen. Die Demut und die Dankbarkeit.

„Was ihr einem der Geringsten unter euch getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus. Er ist den Geringsten ganz nah gekommen, um uns ihre Schönheit zu zeigen. Und dass man das Elend bald aus den Augen verliert, wenn man sich nicht abschrecken lässt, sondern näher tritt und bleibt. Und dann ganz viel Schönheit und Liebe begegnet. Und menschlicher Würde, auch wenn die äußeren Umstände würdelos sind.

Mit seiner Liebe zu den Geringsten h at Jesus das politische System seiner Zeit nicht verändert. Kein römischer Besatzer ist seinetwegen abgezogen und keiner hat den armen Bauern die Steuer erlassen.

Aber die Menschen, die ihm gefolgt sind, haben angefangen zu hoffen. Weil er an einer Stelle die Gewalt durchbrochen und gezeigt hat, was ein einzelner Mensch zu verändern vermag. Wenn er einfach da ist als Mensch.

Mit ihrer Reise nach Moria hat Alea nicht die Politik der EU verändert. Aber sie bringt denen, die in unseren Augen als „Geringste“ gelten, Hoffnung. Hoffnung in Form von Wolldecken, Wärmflaschen, Kleidung und Essen. Und sie zeigt denen, die ihr aus der Ferne per Facebook folgen, wie wenig es braucht, um Menschen ihre Würde zurückzugeben.

Der Gott, an den ich glaube, hat sich klein gemacht und gering. Damit wir nicht auf die herabschauen, die uns als „gering“ erscheinen. Denn Gott ist mitten unter ihnen.

27.10.2020
Annette Bassler