Naturgewalt Liebe

Morgenandacht

Gemeinfrei via Unsplash/ Foto Pettine

Naturgewalt Liebe
Morgenandacht von Frank Mühring
19.01.2023 - 06:35
23.12.2022
Frank Mühring
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Dennis und Tina wollen kirchlich heiraten. Unsere dörfliche Kirche haben sie übers Internet gefunden. Eine romantische Hochzeit in weiß wünschen sie sich. Mit roten Luftballons auf dem Vorplatz und Herzen aus Myrtenzweigen an den Bänken. Ein bisschen Kitsch darf es ruhig sein, versichert mir die Braut Tina mit einem Augenzwinkern. Vorausgesetzt, die Kirche nimmt uns überhaupt auf, sagt Dennis etwas verschämt. „Bei den vielen Brüchen in unserem Lebenslauf.“

Einen Trauspruch haben sie auch schon gegoogelt: Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme. Klingt heftig für eine romantische Hochzeit, gebe ich als meinen Kommentar zurück. Dann erzählen sie. Dennis und Tina sind vom Sturm ihrer Liebe förmlich weggeweht worden. Sie spürten von Anfang an, dass sie füreinander bestimmt sind. Ein schmerzlicher Weg begann. Tina machte mit ihrem langjährigen Freund Schluss. Dennis floh aus seiner unglücklichen Partnerschaft. Auch Kinder sind dabei. „Ziemlich viel Patchwork bei uns,“ versichern beide. Aber sie haben einen gangbaren Weg für alle gefunden. Aus ihrer Sicht ging nicht es anders. Es ist echte Leidenschaft füreinander, sagt Dennis. Dem jungen Paar ist anzumerken: Eine ernste Sache ist ihnen die Hochzeit, totales Herzklopfen inbegriffen.

Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich.

In der Mitte des Alten Testaments findet sich dieses Liebeslied. Das Hohe Lied Salomos. Da schwärmt ein Liebespaar: Siehe, meine Freundin, du bist schön. Schön bist du, deine Augen sind wie Tauben. Siehe, mein Freund, du bist schön und lieblich. Unser Lager ist von frischem Grün. Mein Freund spricht: Steh auf, meine Freundin, und meine Schöne, und komm her. Bibelleserinnen und -leser finden das auf den ersten Blick überraschend. Bibel und Kirche, da denken viele eher an Keuschheit, aber nicht an Erotik. Das Hohe Lied Salomos buchstabiert das durch, was sonst eher schamhaft verschwiegen wird: Erotische Liebe, verliebt sein, einen anderen Menschen total anziehend finden, an nichts anderes mehr denken können, Schmetterlinge im Bauch. Liebe als eine Naturgewalt. Sie gehört zum menschlichen Leben wie der Vulkanausbruch zur Geologie der Erde oder der Orkan zum Wetter. Wenn du sie noch nicht gefunden hast, lautet die Botschaft: Pass auf, sie findet auch dich!

Auf Hebräisch heißt das Hohelied das „Lied der Lieder“. Es geht tatsächlich nur um dieses eine Thema. Die schönste Sache der Welt. Als Bibelleser erlebe ich die Liebe zweier Menschen mit, wie sie fasziniert voneinander sind, wie sie voneinander träumen und Sehnsucht haben.

Liebe und Leidenschaft sind gefährlich. Die beiden Geliebten im hohen Lied sind nicht verheiratet. Es ist eher eine Romeo-und-Julia-Geschichte, denn die Eltern dulden ihre Liebe nicht.  Die Naturgewalt Liebe aber lässt sich nicht eindämmen. Liebe will Freiheit, so denkt das Hohelied. Genau diese Art Liebe ist stark wie der Tod.

Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme. Manche Theologinnen und Theologen behaupten, „Gott“ käme im Hohen Lied nicht vor, es sei ein rein weltliches Liebeslied. Nicht ganz korrekt, finde ich. Denn Weltliches und Göttliches, Himmel und Erde begegnen sich hier. Wie du echte Liebe in dir fühlen kannst, so kannst du auch Gott in deinem Inneren spüren. Gott und die Liebe sind sich ähnlich, sie verändern dich. 

„Liebe ist stark wie der Tod.“ Sie hat Gott zum Äußersten getrieben, nämlich dazu, Mensch zu werden, von seinem himmlischen Thron herabzusteigen hinab in die Niederungen dieser Erde. Er wird Mensch. Gott ist voller Leidenschaft. Er brennt für die Seinen. Darum geht er nie den Weg des geringsten Widerstandes. Dennis und Tina, die ihre heftige Liebe feiern wollen, wissen das.  

 

Es gilt das gesprochene Wort.

23.12.2022
Frank Mühring