Vom Träumen und Wachwerden

Morgenandacht
Vom Träumen und Wachwerden
24.10.2015 - 06:35
18.06.2015
Pfarrer Eberhard Hadem

Wenn ich morgens wach werde, erinnere ich mich manchmal noch an das, was ich in der Nacht geträumt habe.

 

Die Wissenschaft hat unterschiedliche Erklärungen, was Träume der Nacht und des Schlafes sind. Die einen sagen, es seien Botschaften des Unbewussten, die helfen sollen, sich selbst besser zu verstehen, aufmerksam zu werden auf das, was man sonst verdrängt. Manche glauben sogar, dass die Symbole und Bilder eines Traumes für menschliche Seelenzustände stehen, die darauf warten, dass sie an die Oberfläche kommen.

 

Auf der anderen Seite gibt es Wissenschaftler, die sagen, dass das, was geträumt wird, einfach nur Datenmüll ist, der keine Bedeutung hat. Aber der gerade darin eine wichtige Funktion für den Menschen habe: Träumen sei ein innerer Weg, ein Zuviel an Eindrücken loszuwerden. Der Mensch befreie sich auf diese Weise von einem Zuviel an Wissen, an Wahrnehmungen, von der Flut an Informationen mit ihren nutzlosen Energien. Das sei der einzige Zweck von Träumen, diesen ganzen Datenmüll loszuwerden.

 

Zwischen diesen beiden Ansichten – Botschaft oder Datenmüll – gibt es noch Platz für ein anderes Verständnis von Träumen, das darin liegt, ob ich bereit bin, meinen Träumen eine Bedeutung zu geben. Und wenn ja, welche Bedeutung ich meinen Träumen zumesse. Dann muss ich mich nicht irgendeiner absoluten Botschaft eines Traumsymbols ausliefern, und dann muss ich auch nicht in meinem Innersten nach einer Botschaft suchen. Stattdessen kann ich mich bewusst öffnen und aufmerksam werden auf etwas, was mir bisher verborgen war.

 

Eine Zeit lang habe ich mich gequält mit Nachtträumen übers Sterben und den Tod. Das war furchtbar und deprimierend. Je mehr die Träume auftraten, desto eher hielt ich sie für Hinweise auf mein bevorstehendes Ableben. So sehr, dass sie auch mein Denken am Tag bestimmten. Ich habe versucht, mich damit auseinanderzusetzen, aber sie hörten nicht auf. Anderen wollte ich als Pfarrer erzählen über das Leben und die Lebensfreude. Und selber hatte ich genau damit Schwierigkeiten. Bis ich wach wurde nach einem schrecklichen Traum – und dachte: vielleicht geht es ja genau darum: ums Wachwerden!? Damit hatten meine Träume plötzlich eine ganz andere Bedeutung: wach auf und fang an zu leben! Habe mehr Freude in deinem Leben!

 

Je länger ich darüber nachdachte, desto ruhiger wurde ich. In mir wuchs eine neue Kraft für das, was ich tun wollte. Und meine Todesträume hörten auf.

 

Mir hat es geholfen, meine Träume so zu sehen. Nicht als simple, untrügliche Botschaft, sondern als Anstoß zum Wachwerden. Dann führen Träume zu einer geistigen Wachheit. Die mich meine inneren Erfahrungen ernst nehmen lässt, so, dass ich leben und nach ihnen handeln kann. Auch wenn es gegen mein eigenes Urteil und den Verstand geht. Es ist seltsam, wir klugen, modernen Menschen wissen so viel von den Träumen, aber sie als Anstoß von außen zu sehen, das können wir uns nur schwer vorstellen.

 

In der Bibel ist es Hiob, er räumt Gott den Platz ein, mit Träumen Augen und Ohren zu öffnen: Gott redet einmal auf diese Weise, einmal auf eine andre, nur beachtet man es nicht. Und er fährt fort: Im Traum, im Nachtgesicht, wenn der Schlaf auf den Menschen fällt, öffnet Gott ihm das Ohr. (Hiob 33, 14f)

 

Geistige Wachheit braucht eine Innenseite. Es ist keine selbstgemachte Innenseite. Es geht nicht um etwas, was man sich einbildet und als seine eigene Idee verkaufen könnte. Es geht nicht darum, dass ein Traum eine religiöse Wahrheit rechtfertigen soll, oder ihm mehr Gewicht geben soll. Es geht auch nicht um einen Traum als letzte, untrügliche Wahrheit.

 

Aber sehe ich einen Traum als Anstoß von außen, dann macht er mich wach, um leben zu können. Und meinen Weg aufmerksamer zu gehen. Dafür öffnet Gott mir Augen und Ohren.

18.06.2015
Pfarrer Eberhard Hadem