Weil der Raum sicher ist

Morgenandacht

Gemeinfrei via Pixabay/ Gerd Altmann

Weil der Raum sicher ist
Morgenandacht von Ulrike Greim
17.01.2024 - 06:35
29.12.2023
Ulrike Greim
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TW Sexualisierte Gewalt

In wenigen Tagen werden Forscherinnen und Forscher eine groß angelegte Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie Deutschland vorstellen.

Wir ahnen es: Es wird beklemmend werden – Zahlen, Fakten, Strukturen. Erst recht das Wissen um die Dunkelziffer. Statements werden kommen, Betroffenheit, Versprechen.

Die entscheidende Frage ist: Was werden die fühlen, um die es geht? Was haben sie bisher gedacht, als sie zugehört haben – bei den Synoden der evangelischen Kirche? Gerade jüngst haben sich die Parlamente mehrerer Landeskirchen und auch die EKD-Synode mit diesem Thema beschäftigt. Mal haben Betroffene gesprochen, mal nicht, mal war das Ganze im Livestream zu verfolgen, mal war die Öffentlichkeit – und waren damit auch die Betroffenen – bei wichtigen Gesprächsrunden außen vor.

Mal war es sehr tiefgehend und aufwühlend, mal war es die übliche Beschwichtigung inklusive Täterschutz, wie so oft in diesen Debatten.

Was bedeutet es für Betroffene, da zuzuhören, wo doch immer noch die meisten Täter ungeschoren davonkommen, während die Opfer zum Teil lebenslang leiden? Da ist der Weg noch sehr weit, bis ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Immer noch müssen sich Betroffene, die den Mut haben, sich zu outen, rechtfertigen, sich Sätze anhören wie „Ist doch gar nicht so schlimm“ oder „Nun reiß dich mal zusammen“ oder „Das ist doch alles gar nicht bewiesen“. Oder „Man muss doch auch vergeben können“.

Verheerend muss es auch sein zu merken, wie manche schweigen und einfach weitermachen wie bisher.

Wie viele werden sich das ansehen und sich sagen: Ich werde garantiert nicht meine Geschichte offenbaren, weil ich mir diese ganze Tortur ersparen will, dass mir nicht geglaubt wird, dass ich etwas beweisen soll – wie auch?! Dass jemand findet, ich solle vergeben, und mir damit den Dolch im Rücken auch noch herumdreht.

Bei all den Debatten, bei den vielen Gesprächen, bei den dazugehörigen Chats in den sozialen Medien habe ich überlegt, was jetzt das Ideal wäre. Also krame ich meine Hoffnung zusammen und werfe sie in die Waagschale.

Ich habe dieses Bild von den geschützten Räumen vor Augen, in denen alles gesagt werden kann, ohne dass die üblichen Reflexe losgehen. Räume, die ich im Dermaleinst vermute, bei denen ich aber hoffe, dass sie auch im Diesseits möglich werden – auch außerhalb therapeutischer Praxen. Auch in kirchlichen Räumen, in Gruppen und Kreisen und immer selbstverständlicher auch auf Synoden.

Räume, in denen eine Betroffene sagen kann, was ihr passiert ist und wie verdreht die Welt für sie war und heute noch ist. Und wie verdammt weh etwas tut und wie sehr es sie bis heute behindert. Und alle hören zu und fühlen mit. Wissen es nicht besser, haben keine zu kurz gegriffenen Lösungen zur Hand, sondern fühlen sich schlicht verbunden.

Und wo ein Mann erzählen kann, wann ihm heute noch übel wird und wo er gefriert vor Angst und wie viel Kraft es kostet, sich aufzurichten. Dann hören alle zu und niemand will ihn korrigieren.

Ich stelle mir vor, dass es das gibt – solche Runden, wo alle alles erzählen können. Wo man sich seine Wunden zeigen kann, weil man sich aufgehoben und geschützt fühlt.

Dies sage ich, weil ich dem traue, den wir den Heiland nennen, weil er heil macht. Dem traue ich so etwas zu. Der öffnet Türen zu solchen heilsamen Räumen. Ich stelle mir vor, wie Gottes Engel davorstehen und Wache halten. Wer hier hereinkommt in diesen Raum Gottes, darf sich zeigen und niemand wird ihm etwas tun. Da kann man was wagen, vorsichtig, tastend. Auch mal einen Schritt zurück machen.

So verstehe ich meinen Glauben – als Raum zum Heilwerden. Da sind alle geschützt in Gottes Hand.

Und eines Tages werden auch die Täter reden, sich nicht wegdrücken, sondern sich ihrer Schuld stellen. Und auch die, die von alledem wussten oder ahnten und nichts gesagt haben. Und sie werden ehrlich sein.

Ich weiß: Das ist utopisch. Ich weiß: Alles andere ist realistischer.

Aber ich glaube das.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

29.12.2023
Ulrike Greim