Wenn ein Täter sich nicht selbst vergeben kann

Morgenandacht
Wenn ein Täter sich nicht selbst vergeben kann
22.03.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Eberhard Hadem

Der Jünger Judas, der Jesus an die Römer verriet, ist die Symbolfigur eines Täters mit schlechtem Gewissen. Dreißig Silberlinge hat er für seinen Verrat erhalten. Er brachte sie zurück, weil ihn reute, was er getan hatte. Er sprach: Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldiges Blut verraten habe (Matth. 27,4). Und er warf die dreißig Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich.

Judas sah keine Hoffnung mehr für sich. Er konnte sich nicht selbst vergeben, was er getan hatte. Es gibt viele Theorien über Judas, warum er Jesus verraten habe. Für antijüdische Hetze wurde er missbraucht und zum Prototyp des Juden als Verräter gemacht. Erst viel später entstehen neue Fragen um Judas: Ist Jesus auch für Judas gestorben? Dann müsste doch auch Judas Vergebung finden dürfen. Gibt es also Hoffnung für Judas?

 

Bis heute arbeiten sich Künstler, Dichter, Theologen und viele nachdenkliche Menschen ab an Judas. Er bleibt Teil des Geschehens, seine Beziehung zu Jesus setzt sich weiter fort. Ohne Judas kommen fast keine Darstellungen des letzten Abendmahls aus. Er ist immer dabei, ein Mann im Dunklen, oft auch nur im seitlichen Schattenriss. Die Beziehung zwischen ihm und Jesus geht weiter und führt bis zu den Tätern und Opfern heute.

Im berühmten Abendmahlsbild von Leonardo da Vinci streckt sich die linke Hand des Judas zur Mitte hin, der rechten Hand Jesu entgegen. Ihre Hände berühren einander nicht – aber sie lassen einander auch nicht. Obwohl Judas hinaus in die Nacht geht und sich erhängt, fällt er nicht aus der Beziehung zu Jesus hinaus.

Judas, der Täter. Kann christlicher Glaube so einen umfassen, ihn halten, in Beziehung halten? Ohne ihn einfach zu entschuldigen oder hervorzuheben, dass es auch an diesem Menschen doch sicher etwas Gutes gebe?

An Judas lerne ich, dass meine Vergebung an eine Grenze kommen kann.

In der Bibel (Römer 14, 10b.12a) heißt es: Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. (…) So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.

Ich glaube, dass es dort vor Gott ziemlich viel zu besprechen gibt. Die einen werden sagen, dass sie doch das Beste versucht haben. Dass sie nur ihrem Gewissen gefolgt sind. Andere, dass sie sich den moralischen Luxus einer Ethik nicht leisten konnten. Dass sie in der Verantwortung für ein höheres Gut, z.B. das Leben vieler, auch Böses tun mussten – und Gott ihnen wenigstens für den Mut dieser Entscheidung Respekt zollen müsste.

Wieder andere werden darauf beharren, dass sie nur nach Pflicht, Gesetz und Ordnung gehandelt haben. Dass sie sich dem Leben als höchstem Wert verpflichtet fühlten. Dass sie aber den Sachzwängen nicht ausweichen konnten – obwohl sie sich doch innerlich dem Guten verpflichtet gefühlt haben, es nur nicht umsetzen konnten.

Viele werden sich zu rechtfertigen versuchen, weil sie von Gott erwarten, dass er sich im Jüngsten Gericht an seine Gebote hält. Und die sind hinlänglich bekannt. Vieles von den Zehn Geboten und den jüdisch-christlichen Weisungen der Bibel ist in das positive Recht der Menschheit eingeflossen.

Auf der Grundlage der bekannten Gebote kam auch Judas zu seinem vernichtenden Urteil über sich selbst, und sah keinen Ausweg mehr für sich.

Doch vielleicht werden sich alle wundern, wie Gott einmal richten wird. Vielleicht wird es ein Staunen geben, dass er den Selbstrechtfertigungen ebenso wenig Recht gibt wie dem Selbstvernichtungsurteil des Judas.

Dann wäre es ein großes Glück, dass Gott allein es ist, der Judas, alle Täter, alle Opfer, und auch einmal mich richten wird. Und so ganz in die Beziehung zu ihm hineinholt.

27.12.2015
Pfarrer Eberhard Hadem