Wie hast du’s mit der Gewalt?

Morgenandacht
Wie hast du’s mit der Gewalt?
23.03.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Eberhard Hadem

Jesus soll verhaftet werden. Die Soldaten der Tempelwache wollen Jesus im Garten Gethsemane in ihre Gewalt bekommen. Der Jünger Petrus zieht sein Schwert um Jesus zu verteidigen. Dabei schlägt er einem das Ohr ab. Malchus heißt der Mann. Dass die Bibel seinen Namen ausdrücklich nennt, zeigt, wie wichtig ihr diese Geschichte ist.

 

Denn in diesem Moment steht eine Art Gretchenfrage an die Religion im Raum: Wie hältst du es mit der Gewalt? Darf man den Tyrannen schutzlos die Welt überlassen? Darf man, soll man nicht angesichts von Gewalt gegenüber wehrlosen Opfern auch zu Gewalt greifen dürfen, ja, greifen müssen?

 

Ich mag Petrus, der sich ein Gefühl für Unrecht bewahrt hat. Ich mag ihn, obwohl er kein besonnener Mensch ist. Er lässt sich antreiben von seinen Emotionen, und verspricht Jesus: Auch wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen! (Matt. 26,35).

 

Petrus will in diesem Moment, als er zuschlägt, nichts anderes, als zu dem stehen, was er versprochen hat! Als er zum Schwert greift, ist er bereit mit Jesus zu sterben. Denn nichts anderes wartet auf den, der die Waffe hebt gegen die römischen Soldaten und die religiösen Führer.

 

Irgendetwas muss man doch tun können, sagt sich Petrus. Man kann doch nicht einfach nur stillhalten! Jesus sagt zu ihm: …wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. (Matt. 26,52b). Jesus verurteilt nicht, was Petrus tut.

 

Mal angenommen, Jesus hätte zu Petrus gesagt: Leg das Schwert weg! Was hätte das für eine Gründungsurkunde werden können für den christlichen Pazifismus! Aber Jesus sagt zu Petrus: Stecke dein Schwert an seinen Ort. (Matt. 26,52a)

 

Ich verstehe das so: es gibt kein ewiggültiges moralisches Prinzip, das ein für alle Mal grundsätzlich festhalten könnte, dass der Griff zur Gewalt nichts taugt.

 

Jesu Antwort wirft eher die Frage auf, ob der Mensch dazu taugt, die Gewalt zu beherrschen.

 

Jesus sieht in Petrus einen Menschen, der sich seine Angst nicht eingestehen will. Petrus will zeigen, dass er zu seinem Versprechen steht. Er greift zum Schwert, aus Angst um sich selbst und aus Angst um Jesus. Petrus ist überzeugt: Sein Tun ist gerecht! Und doch ist diese Selbstsicherheit nur gespielt. Statt die Konsequenzen zu bedenken, greift Petrus lieber mit großer Geste zum Schwert – in der festen Überzeugung, trotz aller Gewalt doch unschuldig bleiben zu können.

 

Er greift zum Schwert – und will gleichzeitig als unschuldiger Held der gerechten Sache dienen. Petrus ist ein Idealist: er folgt seinem Ideal. Aber er tut es ohne Rücksicht auf Verluste.

 

Für Petrus ist klar, wer der Feind ist. Da bleibt keine Zeit, sich einzugestehen, welch schlechter Ratgeber die Angst ist. Jesus verurteilt die Angst des Petrus nicht. Auch Petrus selbst verurteilt er nicht. Er hält ihn auf, er schützt ihn vor sich selbst.

 

Angelus Silesius, deutscher Theologe und Arzt im 17. Jahrhundert, formuliert das so: Mensch, hüte dich vor dir. Wirst du mit dir beladen, wirst du dir selber mehr als tausend Teufel schaden.[1]

 

Jesus sagt einfach: Steck dein Schwert an seinen Ort. Das will heißen: Mensch, prüfe zuerst dich selbst: Wie hast du’s mit der Gewalt? Glaubst du, sie wäre dein Diener? Oder beherrscht sie dich?

 

Wäre ich nur ein Idealist, würde ich meine Ohnmacht und meine Angst hassen wie Petrus. Ich würde alles dafür tun, sie vor mir selbst zu verbergen. Und lieber den starken Mann markieren.

 

Jesus ist Realist – und lässt mich meine Angst erkennen, die sich hinter der Gewalt des starken Bürgers versteckt. Nicht um sie zu bekämpfen. Sondern um mich von ihr nicht beherrschen zu lassen.

 

[1] Angelus Silesius, Der Cherubinische Wandersmann. Epigramm 144: ‚Die Ichheit schadet mehr als tausend Teufel‘ Aus: Mystik, Michaela Diers, Hrsg., München dtv, 2004, S. 32

27.12.2015
Pfarrer Eberhard Hadem