Mensch bleiben, nicht Herr

Morgenandacht
Mensch bleiben, nicht Herr
24.03.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Eberhard Hadem

Jesus betet, kurz vor seiner Verhaftung, im Garten Gethsemane. Er wünscht sich von seinem Vater im Himmel: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe. (Mt. 26, 39b)

 

Diese Bitte ist der tiefste Moment der Menschwerdung Jesu. Nicht ein gottgleicher Herr ist Jesus hier, sondern Mensch. Er nimmt an, was ihm zugemutet wird, was ihm Angst macht. Nicht passiv und resigniert, sondern aktiv: Er vertraut sich dem Willen Gottes an.

 

Was ich aus diesem Wort Jesu heraushöre, ist das Wagnis zu vertrauen. Und auf Vertrauen gründet Jesu Verbindung zu seinem Vater, die Verbindung von Gott und Mensch. Für Jesus ist es eine Art innerer Weg, das anzunehmen, was ihn an Zumutung und Schmerz erschrecken und ihm Angst machen wird: Ja, er wird den Kelch trinken.

 

Vertrauen, wenn man selbst in Angst ist: das kann niemand einfach so. Das braucht Mut, der doch erst aus solchem Vertrauen wachsen kann. Ein Wagnis, zu dem Jesus ermutigt: Gott zu bitten, dass sein Wille geschehe. Mensch zu bleiben, trotz allem und in allem, was mir widerfährt. Das fällt mir wie vielen Menschen schwer. Mich nicht aufzuschwingen zum Herrn über andere und jede Bedrängnis. Mich nicht von der Angst leiten zu lassen, sondern vom Vertrauen.

 

Weil ich sonst nicht Mensch bleibe. Weil ich mich sonst in Enttäuschung und Ungerechtigkeit zu verlieren drohe, bis hinein in Zorn und Hass, die mich überwältigen wollen. In Gedanken und vielleicht auch manchmal in der Tat.

 

Es ist leicht, Herr sein zu wollen. Es ist schwer, Mensch zu bleiben. Jesus sagt mir: Geh und wage den Weg des Vertrauens, dich Gott zu ergeben und dabei Mensch zu bleiben. Geh und wage den Weg, nicht Herr, sondern Diener für Gott und Mensch zu sein.

 

Herren wissen sehr genau, was gut für die Anderen ist. Sie schreiben vor, was sie für richtig erachten. Lassen sich blenden von den Handlungsmöglichkeiten, die zur Verfügung stehen. Wollen den Kelch nicht sehen – und können ihn doch nicht verhindern. Führen sich auf wie Könige – und merken nicht, wie sehr jeder und jede für sich allein von Machtansprüchen und Eigeninteressen geleitet wird. Das alles tun Herren, nicht aber Diener.

 

Als Mensch erkenne ich, dass ich am Kelch nichts ändern kann. Gott zu vertrauen lässt mich dabei nicht resignieren, auch wenn es mich nicht zum Helden macht. Aber Gott braucht keine Helden. Nur ein bisschen Mut, ein bisschen freie Tat und Widerspruch, schreibt Dietrich Bonhoeffer, Widerstandskämpfer gegen die Nazis, in seinen Briefen aus dem Gefängnis. Gegen die Unmenschlichkeit, gegen den Hass.

 

Bonhoeffer denkt dabei an Knobloch, seinen Gefängniswärter in Berlin-Tegel, der ihm die Zettel mit Informationen in die Zelle schmuggelte. Gott braucht keine Helden. Nur ein bisschen Mut, ein bisschen freie Tat und Widerspruch – und alles wird anders: Angst und Sorge lassen sich aushalten. Vielleicht sogar mit Frieden im Herzen, wenn der Kelch nicht vorübergeht. Am Ende siegt das Leben über die Unmenschlichkeit.

 

Für mich ist es eine Herausforderung, mich voller Vertrauen an Gott halten zu können. Und dabei Mensch zu bleiben. Ängstlich zwar, mit nur ein bisschen Mut, ein bisschen freier Tat und Widerspruch. Aber nicht am Kelch vorbei – für eine bessere Welt, ohne Hass und Gewalt. Mit Frieden im Herzen, auch wenn der Kelch nicht vorübergeht.

27.12.2015
Pfarrer Eberhard Hadem