Wenn ich groß bin – oder: Von unerfüllten Träumen

Morgenandacht
Wenn ich groß bin – oder: Von unerfüllten Träumen
10.10.2015 - 06:35
18.06.2015
Pastorin Annette Gruschwitz

Wenn meine Tante früher zu Besuch kam, fragte sie gern: „Und, meine Kleine, was willst Du mal werden, wenn Du groß bist?“ Ich war immer ein bisschen ratlos, was soll man als kleines Kind auch antworten? „Krankenschwester?“ Die Tante war ja auch Krankenschwester.

 

Wie oft wurde ich das gefragt: „Was willst Du mal werden?“ So wie viele Kinder. Später war es dann die Frage: „Und was willst Du damit machen?“ Oft hab ich mich das selbst gefragt: Was will ich einmal werden? Wer möchte ich sein? Was für Lebensziele stecke ich mir? In meinen Träumen malte ich mir aus, wie ich wohl leben würde mit 30, mit 50, mit 70.

Dann war ich 30. Und Ernüchterung setzte ein. Manches von meinen Träumen hatte sich erfüllt anderes nicht.

 

Meine Oma erzählte gern von ihrem Onkel, der nach Amerika auswanderte und als Handwerker am Bau der Stadt Chicago beteiligt war. Im Dorf meiner Großmutter war er ein Held, denn er hatte sich den Traum von einem besseren Leben erfüllt.

 

Es sind so viele Träume, die Menschen in Bewegung setzen:

Den Vater, den sein Träumen von besseren Chancen dazu bringt, darauf zu achten, dass alle seine Kinder Abitur machen – auch wenn er selbst nur die Volksschule besucht hat.

Die Flüchtlingsmutter, die ihr Traum von einem Leben in Frieden mit ihren drei kleinen Kindern nach Deutschland fliehen lässt. Obwohl sie Eltern und Verwandte zurücklassen muss, die auf Hilfe angewiesen sind.

 

Träume setzen Menschen in Bewegung. Viele Geschichten gibt es darüber. Und es ist wunderbar, wenn diese Träume sich erfüllen. Aber das ist nicht immer so, auch wenn Menschen alles dafür tun, dass sie in Erfüllung gehen. Träume sind Schäume, heißt es. Und Realisten halten nichts vom Träumen.

 

In der Bibel ist Sara so eine Realistin. Sara wollte immer Kinder. Viele. Sie und ihr Mann Abraham haben sich eine große Zahl gewünscht. Sie haben gewartet. Haben alles versucht. Selbst als sie alt waren, haben sie die Hoffnung nicht aufgegeben. Gott hatte es ihnen doch persönlich versprochen: „Ihr werdet viele Nachfahren bekommen, so viele wie Sterne am Himmel sind.“ Aber Sara bekam keine Kinder. Nicht mal eins. Ihr Mann dagegen schon – mit einer anderen Frau. Sara zieht Bilanz und stellt fest: „Ich bin alt. Verbraucht. Überfordert. Ich konnte nicht so leben, wie ich es erhofft hatte. Meine Träume haben sich nicht erfüllt. Jedenfalls nicht mein größter Traum. Jetzt ist es zu spät.“ Sara gibt es auf, zu Träumen und zu Hoffen.

 

Aber die biblische Geschichte mit Sara ist noch nicht zuende. Sie erzählt von einem Anfang gerade da, wo ein Mensch sich aufgibt. Sie erzählt von Gott, der noch lange nicht am Ende ist, wenn die Hoffnung zu sterben droht. Gott macht sich stattdessen auf den Weg. Hin zu Sara und ihrem Mann Abraham. Er will eingelassen werden in ihr Zelt. Gott will zu Tisch gebeten werden. Hungrig und durstig ist er mit seinen Weggefährten. Abraham und Sara erkennen ihn nicht. Aber sie sind gastfreundlich und nehmen die Fremden auf. Und da, am gemeinsamen Tisch, bekommen sie Unglaubliches zu hören: Gott sagt, dass Saras größter Lebenstraum in Erfüllung gehen soll. Sie wird – trotz ihres Alters – noch ein Kind bekommen. Aber Sara bleibt realistisch. Sie lacht. Es ist ein bitteres Lachen. Sie lacht die alten Träume weg, die Trümmer, die davon noch übrig sind. Mit dem Lachen schützt sie sich vor neuen Verletzungen.

 

Erstaunlich ist, wie Gott reagiert. Er fühlt sich nicht verlacht, sondern fragt Sara einfach: „Warum lachst Du?“

 

Die Frage trifft mich. So viele Träume habe ich schon aufgegeben. Über so viele Träume und Hoffnungen schon gelacht. Und geglaubt: Es ist doch nichts mehr zu ändern.

 

Aber Gott ist noch lange nicht am Ende, wo menschliche Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Die Bibel erzählt, dass Sara noch im hohen Alter ein Kind bekam. Sie nennt es „Isaak“. Das bedeutet „Gott hat jemanden zum Lachen gebracht“. Sara hat gelacht – und daraus ist ein neuer Anfang geworden. Darauf will ich hoffen.

18.06.2015
Pastorin Annette Gruschwitz