Zeitenwende - Epochenbruch

Morgenandacht

Gemeinfrei via Unsplash/ Greyson Joralemon

Zeitenwende - Epochenbruch
20.12.2022 - 06:35
29.07.2022
Matthias Viertel
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Zeitenwende. Davon ist seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine immer wieder die Rede. Nun ist die Zeitenwende auch zum Wort des Jahres gekürt worden. Der Bundeskanzler hatte es in seine Regierungserklärung übernommen und damit zum Ausdruck gebracht: die Welt nach dem Krieg gegen die Ukraine wird nicht mehr dieselbe sein wie davor. Im Kern, so fügte er hinzu, geht es bei dieser Zeitenwende „um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf.“ (1)

Der Konflikt zwischen Macht und Recht ist nicht neu. Schon einmal hat es eine Zeitenwende gegeben, die das Leben grundlegend verändert hat. Allerdings ganz anders als der Angriff auf die Ukraine. Diese Zeitenwende liegt rund zweitausend Jahre zurück: die Geburt Jesu in Bethlehem. Und das ist wirklich eine Zeitenwende, das beweist schon der Kalender. Denn noch immer richtet sich unsere Jahreszählung nach Christi Geburt. Das Jahr 2022 ist das Jahr 2022 nach Christi Geburt.

Es war kein Krieg, keine Thronbesteigung und auch sonst keine Machtübernahme, die damals die Welt verändert hat, sondern eine Geburt. Nicht die Macht stand im Mittelpunkt, sondern der Mensch. Ein Kind. Und seine Geburt in einem Stall, weil es keinen Wohnraum gab. Im Stroh, bei den Tieren und ohne Heizung, ohne fließend Wasser und ohne elektrisches Licht.

Schon damals ging es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf. Es ist eine uralte Frage, sie stellt sich immer dann, wenn ein Despot sich anschickt, das Recht anderer zu missachten, um die eigene Macht auszubauen. Wenn Menschen geknechtet und ihrer Rechte beraubt werden bricht dieser alte Konflikt wieder auf.

Damals waren es die Römer, die ihre Macht über die Welt gnadenlos ausnutzten. Unter Kaiser Augustus war das Leben in Palästina von Gewalt bestimmt, von willkürlichen Hinrichtungen und Korruption. Rechte wurden mit den Füßen getreten und religiöse Gefühle bewusst verletzt. Die Zeit, in die Jesus hinein geboren wurde, war eine Zeit voller Bedrohung, Demütigung und Erpressung. Nicht anders heute, an vielen Stellen der Welt. Die Geburt im Stall ist dazu eine radikale Antithese: Friede auf Erden! Fürchtet euch nicht!

Von einer Zeitenwende sprechen Historiker, wenn Menschen das Gefühl haben, all ihre Werte und Ziele hätten auf einmal ihre Gültigkeit verloren. Das innere Koordinatensystem verkehrt sich ins Gegenteil, man muss nach neuen Perspektiven suchen. So war es auch zur Zeit Jesu: Die meisten hatten gedacht, Gott würde die Probleme schon richten, wenn sie nur ein frommes Leben führten. Aber dem war nicht so. Die Unterdrückung blieb, bis schließlich kaum jemand den Politikern noch eine Lösung zutraute, den Priestern aber auch nicht. Die Hoffnungssysteme verloren insgesamt ihre Bedeutung.

Wenn heute wieder von einer Zeitenwende gesprochen wird, ist genau diese Irritation gemeint, dieses Gefühl der Haltlosigkeit, die keinen Ausweg erkennen lässt. Krieg, Corona, Klima - die Verunsicherungen häufen sich. Und verlangen nach Hoffnung und Licht.

Die Zeitenwende mit Jesu Geburt gab eine nachhaltige Antwort auf die Frage, ob Macht das Recht brechen darf: Nein. Und das wird keine Macht der Welt jemals können. Damals war es der Blick auf das Schwache und Schutzbedürftige, auf das Kind in der Krippe. Selbst Könige entdeckten ausgerechnet im Stall bei den Tieren ein Licht, das Hoffnung schenkt. Weil es ein radikaler Perspektivwechsel ist: nicht die Macht, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt. Kein Panzer und keine Rakete kann hinter diese Zeitenwende zurück. Vielleicht lässt sich dieser Blick übertragen, eine Rückbesinnung auf das, was wirklich notwendig ist, was dem Leben dient. Wer auf ein schutzloses Kind schaut, kann keine Bomben werfen. Es gibt kein überzeugenderes Votum gegen Machtmissbrauch als das Kind in der Krippe, vor dem sich alle beugen. Und das gilt noch immer, auch im Jahr 2022 nach Christi Geburt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literatur dieser Sendung:

 

  1. www.bundesregierung.de/resource/blob/992814/2131062/78d39dda6647d7f835bbe76713d30c31/bundeskanzler-olaf-scholz-reden-zur-zeitenwende-download-bpa-data.pdf?download=1
29.07.2022
Matthias Viertel