Die Würde des Schweins

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Christopher Carson

Die Würde des Schweins
von Pfarrerin Kathrin Oxen
18.04.2023 - 06:20
01.02.2023
Pfarrerin Kathrin Oxen
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„Schweine fressen alles, pass auf“. Mir zur Warnung wurde das gesagt, wenn ich die interessante, steckdosenartige Schnauze berühren wollte, mit der das Schwein durch die Latten seines Verschlags schnüffelte. Schweine fressen wirklich alles. Mit Grausen stellte ich das fest, wenn es meine Aufgabe war, ihnen den Eimer mit den Essensresten zu bringen, der von Aussehen und Geruch her wirklich nichts anderes als ekelhaft war. Das fand das Schwein ganz offensichtlich nicht, denn es stürzte sich mit Wonne darauf, stand manchmal sogar mit seinen schmutzigen Füßen in seinem Futtertrog. Von Tischmanieren hatte es noch nie gehört. Anders als ich durfte es schmatzen, wie es wollte. Und es mochte es gerne, wenn man ihm nach dem Essen mit dem rauen Stallbesen ein bisschen den Rücken schubberte. Da lag es genüsslich grunzend im Stroh.

Meine Kindheit auf dem Bauernhof war idyllisch. Und sie war realistisch. Es gab Tiere zum Liebhaben und Streicheln, zweckfreie Tiere, wenn man so will. Und es gab Nutztiere, das Schwein, den Ochsen, der ein ganzes Jahr lang mit den anderen Kühen auf der Weide stand, über dessen Bestimmung wir aber alle Bescheid wussten. Eines Tages würde er abgeholt werden und in appetitliche Portionen zerteilt zu uns zurückkommen, um in die Tiefkühltruhe zu wandern. Ein Jahr musste sein Fleisch reichen. Und deswegen gab es bei uns oft auch bloß Bratkartoffeln oder Milchreis.

Vor über dreißig Jahren schrieb Reinhard Mey sein Lied „Die Würde des Schweins ist unantastbar“. Anfang der 1990er war der überbackene Blumenkohl oft die einzige fleischlose Alternative auf der Speisekarte. Heute hat sich das vollkommen gewandelt. Vegetarisch oder vegan zu essen, ist ein Megatrend. Niemand möchte am Leid der Tiere mitschuldig sein. Und doch ist längst klar, dass auch eine fleischlose Ernährung ihre Tücken hat und nicht automatisch alle verhängnisvollen Kreisläufe von Ausbeutung und Umweltzerstörung außer Kraft setzt.

In der Bibel wird der Mensch in den Garten Eden gesetzt und bekommt den Auftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Und dann soll er allen Tieren einen Namen geben. Sie sind nämlich keine Sachen, sondern unsere Mitgeschöpfe, denen wir mit Respekt und Achtung zu begegnen haben. Besonders dann, wenn wir uns dafür entscheiden, sie zu essen. Und auch, wenn wir nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen sind. Denn unser Bauernhof heute ist die ganze Welt.

Es gilt das gesprochene Wort.

01.02.2023
Pfarrerin Kathrin Oxen