Einsamkeit

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Aaron Burden

Einsamkeit
von Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
10.01.2024 - 06:20
29.12.2023
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
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Eine Frau steht am Meer und schaut auf den Horizont. Man sieht sie nur von hinten. Schräg hinter ihr steht ein Mann. Die zwei scheinen ein Paar zu sein, gleich alt etwa – vielleicht aber auch nicht? Die beiden berühren sich nicht. Sie sehen einander nicht an. Sie blicken in verschiedene Richtungen – als wäre der andere gar nicht da. Spannung und Traurigkeit liegen in der Luft, trotz der romantischen Aussicht. Das Bild heißt Einsamkeit.

„Warum steht da Einsamkeit?“, will meine zehnjährige Tochter wissen, „die sind doch zu zweit.“ Messerscharf erkannt, denke ich, genau das macht ja den Reiz dieses Bildes des norwegischen Malers Edward Munch aus. Wir sind zu Besuch einer Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Hier in der Stadt hat der Maler viele Jahre gelebt, gemalt, gefeiert und gelitten. Eine feste Beziehung hatte er nie. Im Streit mit seiner Verlobten in Norwegen bekam er einen angeblich unbeabsichtigten Pistolenschuss in den Mittelfinger ab. Die Verlobung wurde gelöst. Das Röntgenbild des durchlöcherten Fingers hängt auch in der Ausstellung. Meine Tochter ist fasziniert. 

Einsamkeit – mir kommen sofort Bilder: Bilder von Paaren, die sich am Esstisch nichts mehr zu sagen haben, Paare, die aneinander vorbeischauen und nebeneinanderher leben. Ich denke an Paare, die in der Bahn nebeneinandersitzen, statt zu knutschen schaut jeder auf sein Smartphone. Ich denke auch an mich. Ich gehöre zu denen, die manches nicht aussprechen, lieber wütend wegschauen und den anderen mit Nichtwahrnehmung strafen – und dann steht da plötzlich diese unsichtbare Wand zwischen uns, gegen die der andere keine Chance hat. Dabei weiß ich: Reden hilft. Eigentlich fast immer. Ich brauch nur meistens etwas länger…

Damit die Schweigephasen kürzer werden und es mir gelingt, schneller über den eigenen Schatten zu springen, dafür habe ich mir die Jahreslosung aus der Bibel gemerkt:  Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe! Ist hoffnungslos optimistisch der Satz – ich weiß. Die Bibel kennt auch andere – den z.B. aus dem Buch des Predigers: Herzen hat seine Zeit und aufhören zu herzen hat seine Zeit… Auch alleine aufs Meer gucken. Für sich sein können, das ist auch mal wichtig, und ich freue mich jetzt schon auf meinen nächsten Besuch an der Ostsee. Aber vor allem soll Liebe ihre Zeit haben in diesem Jahr. Sie fängt damit an, dem anderen in die Augen zu schauen.

„Mama, wann gehen wir…?“ Jetzt will meine Tochter angeschaut werden, der die Bilder von Edward Munch doch zu unheimlich sind. Ich mag dieses Bild – und ich mag, wie sie nun ihre Hand in meine schiebt und mich weiterzieht mitten hinein in die Zweisamkeit.

Es gilt das gesprochene Wort.

29.12.2023
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit