Liebst du mich?

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Marcos Paulo Prado

Liebst du mich?
von Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
09.01.2024 - 06:20
29.12.2023
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
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„Die evangelische Kirche muss attraktiver werden!“, schrieb kürzlich ein Kollege von mir auf Facebook. Er meinte damit: einladender, werbender, herzlicher – ebenso, dass Menschen sich willkommen fühlen, wenn sie zum Gottesdienst kommen oder zu einer Gemeindeveranstaltung. Sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber offensichtlich nicht. Ich verstehe sein Anliegen. Trotzdem klingt es für mich auch irgendwie verzweifelt. Wie jemand, der verlassen wurde und nun hofft, sich mit einer Charmeoffensive, mit einem neuen Haarschnitt, mit neuem Outfit oder Duft den oder die Liebste zurückzuerobern. So als könne man Menschen zur Kirche verführen, als wäre es möglich, Liebe und Zuneigung einfach herbeizuführen. Das gelingt selten.

Ich bin auch traurig, dass so viele Menschen der Kirche den Rücken kehren. Sie ist mir wichtig. Ich glaube aber nicht, dass mehr Attraktivität sie retten wird. Ich habe in den Weihnachtstagen ein Buch mit Texten von Johannes Tauler gelesen. Er war ein Mystiker im Mittelalter. Von ihm stammen ganz innige Glaubenstexte, manche vermuten, auch das wunderbare Adventslied Es kommt ein Schiff geladen. Viel ist darin von Liebe die Rede. Sie war der Inhalt seines Glaubens. Er selbst bezeichnete sich als Gottesfreund, nicht als Kirchenmitglied. Wie ihm ging es auch den anderen Mystikern und Mystikerinnen des Mittelalters nicht um eine Institution oder rationale Glaubensüberzeugungen, sondern um eine innige, ja liebevolle Gottesbeziehung. Sie drückt sich schwärmerisch aus. Es geht um ganz große Gefühle, um Sehnsucht und Erfüllung und Verletzlichkeit der Menschenseele. Um eine tiefe Bedürftigkeit. Irgendwie scheint uns im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen, womit alles einmal angefangen hat: Mit der festen Gewissheit, dass Gott mich liebt. Leidenschaftlich und manchmal eifersüchtig, überbordend und verrückt zuweilen. Und dass Gott will, dass ich seine Liebe erwidere. Und wie bei echter Liebe gilt: Ich muss nicht attraktiver werden – für Gott bin es schon. Es zieht ihn förmlich hin zu mir, davon war Johannes Tauler überzeugt. Und was er schreibt, klingt wie aus einem Liebesbrief:

„Die Seele hat einen Funken, einen Grund in sich, dessen Durst Gott, der doch alle Dinge vermag, mit nichts anderem zu löschen vermag, als mit sich selbst.“     

Es gilt das gesprochene Wort.

29.12.2023
Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit