Feindesliebe und Champagner

Wort zum Tage
Feindesliebe und Champagner
22.12.2017 - 06:20
01.11.2017
Militärdekan Dirck Ackermann
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Ein regnerischer Tag im Sommer. Wir fahren durch Nordfrankreich. Das Wetter passt zu meiner Stimmung.

Zwei Tage voller Schrecken liegen hinter mir. Genauer gesagt, zwei Tage der Begegnung mit den Schrecken, die vor 100 Jahren stattgefunden haben. Wir haben die Schlachtfelder rund um Verdun besucht. Sinnbild für die absolute Brutalität und Sinnlosigkeit von Krieg und Gewalt: Verdun. Vor hundert Jahren fand hier eine blutige Schlacht statt. 10 Monate Granatenhagel zeichnet bis heute die Landschaft. Granattrichter, Schützengräben sind zu erkennen, klägliche Reste von Bauerndörfern, die dutzendmal hin und her erobert wurden. Jetzt ist nichts mehr. Das Beinhaus von Douaumont. Gebeine von 350.000 gefallenen Soldaten. „Fallen“ - was für ein Euphemismus für das Zerfetzen von menschlichen Körpern!

 

Die Bilder eines Besuchs - tief eingebrannt in unsere Seelen. Das reicht jetzt für den Urlaub in diesem Jahr, denke ich. Kein Schlachtfeldtourismus mehr.

An diesem regnerischen Sommertag nun sind wir auf dem Weg nach Reims. Jetzt bitte eine Aufheiterung für unsere Seelen! Reims – die traumhafte Kathedrale, hier wurden die französischen Könige gekrönt, hier taufte Remigius den Frankenkönig Clodwig. Ich freue mich auf die träumerischen Glasfenster von Marc Chagall, auf den lächelnden Engel und: auf den Champagner.

Endlich erreichen wir Reims. Von weitem erblicken wir die Silhouette der Kathedrale. Sie hebt sich in ihrer eindrücklichen Architektur von der übrigen Stadt wohltuend ab. Wir kommen an das Westportal. Es ist zum großen Teil eingerüstet. Restaurierungsarbeiten.

Ein Hinweisschild gibt die Erläuterung: Reims wurde im ersten Weltkrieg zu sechzig Prozent zerstört. Auch die Kathedrale war betroffen, neben dem Dach besonders das Westportal. Erst jetzt wird eine Komplettrestaurierung durchgeführt.

 

Also auch Reims – denke ich. Auch hier Krieg, auch hier Zerstörung. Doch dann entdecke ich eine Inschrift am Boden. An dieser Stelle – so heißt es – haben 1962 Konrad Adenauer und Charles de Gaulle vor dem Erzbischof von Reims stellvertretend für ihre Völker verkündet, dass Franzosen und Deutsche sich versöhnt haben.

Händereichen zwischen Feinden. Feindesliebe – sie ist möglich, denke ich. Und hinterlässt ihre Spuren - auch an einer Stätte der Zerstörung. Ermuntert durch diesen Eindruck kann ich jetzt die Kathedrale genießen. Und später dann auch den Champagner.

01.11.2017
Militärdekan Dirck Ackermann