Frieden halten

Wort zum Tage
Frieden halten
18.11.2019 - 06:20
05.09.2019
Michael Kösling
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Mit 10 Jahren wusste ich, wie man eine Panzerfaust hält. Ich habe gelernt Divisionen und Brigaden auf einem Planungstisch zu verschieben. Und vor allem wusste ich, wer der Feind war und wieso. Ich war Delegierter in der Pionierrepublik Wilhelm Pieck. Der Abschluss bildete die Teilnahme als Beobachter an einem Manöver. Panzer wuchteten sich über Sanddünen. Soldaten rannten. Gewehre knatterten. Und wir durften das alles dann auch anfassen, die sogenannte Glattrohrkanone des Panzers, Gewehre und dann eben auch eine echte Panzerfaust. Meine Klassenlehrerin schlug beim obligatorischen Hausbesuch meinen Eltern vor, mich auf eine Laufbahn als Offizier in der Nationalen Volksarmee vorzubereiten. Ich hätte gelernt, Krieg zu führen. Ich hätte gelernt, auf Menschen zu schießen. Ich konnte später, da gab es die DDR schon lange nicht mehr, den Wehrdienst verweigern. Ein großes Glück. In meiner Erinnerung wich die Angst vor einem Krieg in Europa und der Welt, als Reagan und Gorbatschow 1987 und 1988 den Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme unterzeichneten. Ich erinnere noch genau die Fernsehbilder, wie die beiden dasitzen und den Vertrag unterschreiben. Das ist ein Bild aus meinem kleinen Vorrat von Hoffnungsbildern. Als der Vertrag jetzt aufgekündigt wurde, fühlte ich mich persönlich angegriffen. Es war so, als würde jemand versuchen, dieses Bild zu stehlen. Krieg ist wieder zu einer Möglichkeit geworden. Und ich wüsste gar nicht, wie man das macht: Krieg führen. Meine Übungen sind ja lange her. Die Pionierrepublik ist europäische Jugendbegegnungsstätte. Mein Vater, 71 Jahre alt, kennt keinen Krieg. Ich kenne keinen Krieg. Meine Tochter, mein Sohn – kennen keinen Krieg. Fast könnte ich glauben, die große Prophezeiung der Bibel aus dem Buch Micha ist wahr geworden: Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen Krieg zu führen. Auch so ein Hoffnungsbild aus meinem kleinen Vorrat. Übrigens wurde es genau heute vor 38 Jahren, am 18. November 1981, zum Ende der ersten Friedensdekade der beiden Kirchen in Ost- und Westdeutschland, als Vliesaufnäher verteilt, hunderttausendfach: Schwerter zu Pflugscharen. Ein altes Bild und eine Hoffnung gegen die vielen Kriege dieser Welt. Ob wir weiter in Frieden leben und nicht lernen müssen Krieg zu führen, wird auch davon abhängen, welche Bilder wir uns vor Augen halten. Es gilt, sagt die Bibel, dem Frieden nachzujagen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

05.09.2019
Michael Kösling