Lebendige Geschichte

Wort zum Tage
Lebendige Geschichte
22.05.2019 - 06:20
28.02.2019
Autorin des Textes: Angelika Scholte-Reh
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In einem der Dörfer hier in der Lausitz erzählen die beiden Brautstühle eine beredte Geschichte. Gemacht hat sie ein junger Tischlermeister zu seiner Hochzeit. Solides Eichenholz, liebevoll geschnitzt und ordentlich gearbeitet. Wer genau hinschaut, kann sehen, dass auf den Rückenlehnen ein Relief war. Es ist entfernt worden. Da, wo die Hakenkreuze waren, ist das Holz rauer. Das ist im Gegenlicht auch heute noch deutlich zu erkennen.

Die Dorfgemeinde mit der fast zweihundert Jahre alten Kirche hat verschiedene politische Systeme erlebt und sich immer wieder angepasst. Widerstand braucht Kraft und Mut. Zur Zeit der Nationalsozialisten schien es für viele Menschen so, als könne und müsse man den christlichen Glauben in dieses politische System einbinden. Man hatte sich ein- und untergeordnet. Nur nicht die Stimme erheben, nur nicht in das Blickfeld der Machthabenden geraten. Stell dir vor, du bist dann dran: Mit übler Nachrede, mit Bloßstellungen, mit Ausgrenzungen, wirst verhaftet und weggebracht. Da ist es besser, mit den Wölfen zu heulen.

 

Und heute? Lieber nicht davon reden! Dass in und an der Dorfkirche die Hakenkreuzfahne hing? „Das haben doch alle so gemacht!“ Dass auch aus diesem Dorf Menschen deportiert und umgebracht wurden? „Das hat man doch erst hinterher erfahren.“ Dass der Pfarrer ein strammer Nazi war? „Er war unser Pfarrer. Das haben wir nicht hinterfragt.“

 

Wer nach der Geschichte fragt, macht Schuld bewusst. Das ruft Abwehr und Widerspruch hervor. Doch die Wunden der Vergangenheit werden nicht heilen, wenn sie nicht angesehen, ernstgenommen und versorgt werden. Schuld braucht Einsicht, damit Menschen Vergebung erfahren können. Und wer sich an die Geschichte, an das Unrecht und den Schmerz nicht erinnert, wird sie wiederholen. Wie nationalistischer Stolz und rechtes Gedankengut wieder in die Mitte der Gesellschaft wandern, erleben wir gerade, auch deshalb, weil Geschichte verleugnet wird.

 

Die Väter der Barmer Theologischen Erklärung vom Mai 1934 haben demgegenüber in ihrer dritten These formuliert:

 

„Die Kirche hat (…) mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein Jesu Christi Eigentum ist (…).“

 

Auch in der Kirche wurde vieles nicht aufgearbeitet und Schuld verschwiegen. Und dann bleibt das, was war, unter der Oberfläche da und wirkt bis in die Gegenwart, so wie die die Konturen der Hakenkreuze auf den Brautstühlen.

 

Gottes Versprechen ist: Schuld, die angenommen wird, wird vergeben und damit wird der Mensch frei, die Zukunft aus der Liebe Gottes zu allen Menschen zu gestalten.

 

Dass wir das miteinander können und wagen, darauf hoffe ich.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

28.02.2019
Autorin des Textes: Angelika Scholte-Reh