Nicht überwältigt

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Sergiu Vălenaș

Nicht überwältigt
von Evamaria Bohle
27.07.2023 - 06:20
03.07.2023
Evamaria Bohle
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Sie ist eine Großstädterin des 14./15. Jahrhunderts, und sie hat ein Buch geschrieben. Das erste Buch einer Frau in englischer Sprache, von dem wir wissen. Ihre leise Stimme klingt über 650 Jahre in unser Jahrhundert hinein. Man kann sie googeln: Julian von Norwich.

Norwich ist damals eine bedeutende Handelsstadt. Über das nahe Meer mit der Welt verbunden. Am Puls der Zeit. Aber die Zeiten sind schwierig: In Julians Kindheit rafft die Pest fast 50 Prozent der Bevölkerung Englands dahin. Leid. Angst. Not. Revolten erschüttern das Land. Überall fehlen Arbeitskräfte. Und ein Angriffskrieg, den man den 100-Jährigen nennen wird, lastet auf den Gemeinwesen.

Julian erreicht dennoch ihr 30. Lebensjahr. Erst dann erkrankt sie lebensbedrohlich. Und nur deswegen wissen wir heute von ihr. Ein Priester kommt, um das Sterben vorzubereiten. Sie erinnert sich gut an das Kruzifix, das er ihr tröstend vor Augen hält. Es ist der 8. Mai 1373.  Was dann geschieht, wird sie ihr ganzes weiteres Leben beschäftigen. Eine Nahtoderfahrung? Sie wird später von 16 Visionen sprechen. Von Gesprächen auf Augenhöhe, die sie mit Christus führt - über die Welt, über Gott und das, was alles zusammenhält: Die Liebe. Die mütterliche Liebe Gottes.

Sie wird wieder gesund und ändert ihr Leben radikal. Lässt sich einschließen in eine Klause direkt neben der Kirche St. Julian, nach der wir sie heute nennen. Keine Tür, nur drei Fenster: eines schaut in den Kirchenraum, eines dient ihrer Versorgung, eines geht zur Straße raus. Sie bleibt ansprechbar für die Menschen, die ihren Trost, ihren Rat suchen. 

Und sie wird alt werden.  Über vier Jahrzehnte denkt sie nach, betet, meditiert über das, was sie in diesem Nachtgespräch erfahren hat, und schreibt auf, wie sie es versteht: „Die Offenbarungen von Göttlicher Liebe“, heißt ihr Buch.  Das Original ist verschollen. Doch einige Abschriften sind durch die Jahrhunderte gewandert.

Mit leiser Stimme spricht sie in unsere Gegenwart: „Alles wird gut sein und alle werden gut sein und aller Art Dinge werden gut sein.“ „All shall be well“ ist die Essenz ihrer Gotteserfahrung. „Gott sagt nicht: ‚Du wirst nicht versucht werden, du wirst keinen Kummer haben, du wirst nicht krank sein‘, sondern er sagt: ‚Du wirst nicht überwältigt werden.‘“ Julian glaubt das.  All shall be well.

Es gilt das gesprochene Wort.

03.07.2023
Evamaria Bohle