Passion zum Mitsingen

Wort zum Tage
Passion zum Mitsingen
31.07.2019 - 06:20
13.06.2019
Julia Rittner-Kopp
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Die Kirche ist bis auf den letzten Platz besetzt. Fast alle im Publikum haben die Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach schon öfter gehört oder sogar selber mitgewirkt. Sie können ganze Passagen einfach so mitsingen. Und genau darum geht es heute. Denn diese Johannes-Passion ist anders: Im Programm heißt sie „passion en miniature“. Im Chorraum: eine kleine Orgel, ein Marimbaphon und anderes Schlagwerk, aber kein Chor und nur ein einziger Sänger. Für die Johannes-Passion! Sehr besonders. Vor allem aber: Diese Johannes-Passion ist interaktiv. Beim Reingehen in die Kirche haben alle Notenblätter bekommen. Zum Mitsingen. Ich sehe einige, die haben ihre eigenen Noten dabei, zum Teil sicher jahrzehntealt und ganz „zersungen“. Ich bin gespannt auf dieses Experiment. Publikum sein und zugleich Teil der Musik. Wie soll das klappen, wie wird das klingen? Schon beim ersten Choral staune ich. Fast alle stimmen mit ein. Meine Stimme gehört jetzt zu einem gewaltigen Chor. Es macht nichts, dass ich die hohen Töne nicht mehr schaffe. Es macht nichts, dass die Qualität nicht an andere, echte Chöre heranreicht. Viel wichtiger ist: Ich verlasse die Rolle der Zuhörerin und der Zuschauerin. So wie alle hier. Diese Passion wird zu unserer Passion. Dieser eine Solist übernimmt alle Stimmen und Rollen. Dabei singt er nicht nur, er spricht und flüstert. Manchmal scheint er jede einzelne Person im Publikum anzuschauen. Ich bin gemeint. Und auf einmal ist jeder Mensch hier einer, der Jesus verleugnet und verlässt. Aus uns Konzertbesucherinnen und -besuchern werden Verräter und Folterknechte. Doch auch Weinende und Liebende. Die Geschichte Jesu und unsere Geschichten gehören zusammen. Weil sie nie aufhören, die Passionen, das Leiden und die leidenschaftliche Suche nach gutem und gerechtem Zusammenleben. Weil es dazu Zivilcourage braucht, unsere Sorge und Fürsorge und unsere Stimmen. Soli Deo Gloria - allein Gott zur Ehre hat Bach seine Musik komponiert. Es gibt so viele Weisen Gott zu loben. Diese Musik ist eine besonders wunderbare, aber Sprechgesänge und Worte an den Fridays for Future sind auch eine, finde ich. „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut“, zum Beispiel. Und bei Bach: „Erzähle der Welt und dem Himmel die Not.“ Passionen zum Mitsingen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Julia Rittner-Kopp