Versuchungen: Die Empörung genießen

Wort zum Tage
Versuchungen: Die Empörung genießen
25.04.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Angelika Obert

Manchmal erwischt es mich auf einem Spaziergang. Die Gedanken schweifen und plötzlich bleiben sie hängen bei einem Kollegen, der mir vor langer Zeit mal übel mitgespielt hat. Da kommt mein Selbstgespräch in Schwung. Ich ergehe mich in Vorwürfen, kläre noch einmal die damalige Lage und halte im Stillen eine flammende Rede über die Egozentrik und Kaltschnäuzigkeit dieses ehemaligen Kollegen. Keinen Blick habe ich mehr für blühende Büsche, spielende Hunde, für die Lichtflecken auf dem See. Ich bin vollkommen damit beschäftigt, mich in dem alten Groll zu suhlen. Wenn ich mit der ersten Schimpfrunde fertig bin, fange ich gern auch nochmal von vorn an.

 

Doch zumindest nachträglich frage ich mich manchmal doch, wozu der Ausflug in eine alte Empörung jetzt gut war. Schmerzt denn die alte Wunde noch? Der Ärger von vor fünf oder zehn Jahren? Die meiste Zeit habe ich ihn längst vergessen. Wenn er mir von irgendwoher wieder in den Sinn kommt – warum lasse ich mich dann so bereitwillig darauf ein? Kann es sein, dass ich das auch genieße? Dass es mir Spaß macht, wenn ich in längeren Selbstgesprächen Vorwürfe machen kann, die Dinge nach meinem Geschmack richtig stelle und mich dabei so richtig empöre? Ich kann mich dann als Opfer fühlen, herrlich unschuldig, und trotzdem nach Herzenslust böse sein.

 

Am Ende ist das Wiederaufwärmen eines alten Grolls nur eine sinnlose Freizeitbeschäftigung. Aber es kommt mir so vor, als ob darin schon das Muster steckt, wie die Versuchung zum Bösesein überhaupt funktioniert. „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ – so lautet ja die letzte Bitte im Vaterunser. Ich habe oft darüber nachgegrübelt, was damit gemeint ist. Meistens denkt man ja beim Bösen zuerst an das, was andere Leute tun. Aber das Böse der andern ist ja nicht meine Versuchung. Meine Versuchung, auf die ich immer mal wieder reinfalle – die könnte doch die gewisse Lust sein, auf jemanden böse zu sein und böse zu bleiben, weil ich mich dann so schön unschuldig und völlig im Recht fühlen kann.

 

Ungefähr zwei Mal in der Woche bekomme ich eine Email von einer Frau, die auch an die Bundeskanzlerin und viele andere Leute schreibt – mit immer neuen bitterbösen Vorwürfen gegen die Muslime, aber auch gegen die Christen, die Journalisten, die Politiker. Ich habe das Gefühl, dass sie diesen Zustand der Dauerempörung genießt.

 

Das Hinterhältige an der Versuchung zum Bösesein ist ja wohl, dass man's nicht merkt, wenn man darauf reinfällt. Weil man sich eben völlig im Recht fühlt. Sollten wir vielleicht beten: Mach uns unsicher, wenn wir anfangen, als Rechthaber böse zu werden?

11.01.2016
Pfarrerin Angelika Obert