Das Wort zum Sonntag: "Auge um Auge - Zahn um Zahn"

Das Wort zum Sonntag: "Auge um Auge - Zahn um Zahn"
Pfarrer Stefan Claaß
19.07.2014 - 22:35

Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wenn du mir etwas antust, kriegst du´s zurück. Wenn du mich attackierst, zahl ich´s dir heim. Es gibt wohl keinen Satz in der Bibel, der häufiger in zwei genau gegensätzlichen Weisen gelesen wird: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die meisten zitieren diesen Satz, um ihre Rache zu begründen. Die Pointe ist aber genau anders herum: er richtet sich an denjenigen, der den Schaden angerichtet hat: Du sollst geben Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die erste Lesart zieht das Leben weiter in den Abgrund, Racheakt folgt auf Racheakt. Die zweite Lesart ist daran interessiert, dass das Leben weitergeht: wie können wir den Teufelskreis der Rache durchbrechen?

 

Mich hat tief beeindruckt, was der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel einmal gesagt hat - sinngemäß: Die Verbrechen des 20. Jahrhunderts haben damit angefangen, dass es hieß: die Engländer, die Franzosen, die Deutschen, die Juden...

Das Verhängnis beginnt, wo wir die anderen alle in einen Topf werfen: die Juden, die Muslime. Die Israelis, die Palästinenser.

 

Ich war mehrfach in Israel und Palästina, auf beiden Seiten der Mauer. Und ich habe Menschen getroffen, die es nicht in unsere Nachrichten schaffen. Israelis und Palästinenser, die gute Kontakte zur anderen Seite haben und sich um Verständigung bemühen. Aber wie alle anderen sind sie Gefangene des Systems der Vergeltung. Wo Gewalt von einer Seite kommt, ruft die andere nach Vergeltung. Dann folgt der nächste Gegenschlag. Und so weiter.

 

Wie jetzt im Fall der vier Jugendlichen, die ermordet worden sind. Aber es waren nicht einfach irgendwelche Jugendlichen. Es waren Naftali, Eyal, Gilad und Mohammed. Naftali, Eyal und Gilad sind in Israel ermordet worden, weil sie Juden waren. Mohamed, weil er Palästinenser war – aus Rache für den Tod der drei.

Jeder von ihnen hat Eltern, die unermesslichen Schmerz leiden. Jeder von ihnen hat Freunde, die trauern.

 

Auge um Auge, Zahn um Zahn: ursprünglich wollte dieser Satz die ewige Steigerung von Rache eindämmen, wollte zur Wiedergutmachung anregen. Jesus hat das in seiner Bergpredigt noch gesteigert. Wenn dich einer provoziert, dann tu ihm etwas Gutes. Wenn einer dich attackiert, dann tu ihm etwas Gutes. „Das ist doch irre!“ höre ich schon Protest. Ach ja? Ist es weniger irre, sich gegenseitig umzubringen?

Ich frage zurück: Haben alle, die da gleich protestieren, Jesu Ratschlag schon mal ausprobiert? Nein? Mich würde interessieren: was sagen jene Menschen, die das einmal riskiert haben?

 

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!