Das Wort zum Sonntag: "Auschwitz und ich"

Das Wort zum Sonntag: "Auschwitz und ich"
Pastorin Annette Behnken
11.10.2014 - 22:35

Es ist still.

 

Birken und Buchen umgeben diesen Ort, als wollten sie ihn schützen. Dass hier über eine Million Menschen getötet wurden ist schwer vorstellbar.

 

Die Fläche, auf der Zäune und Türme bezeugen, was hier war, ist erschreckend groß.

 

Auschwitz-Birkenau ist für mich ein Ort, an dem mir klar wird, dass nicht die anderen die Bösen sind. Es sind Menschen, die das hier gemacht haben, Menschen wie Sie und ich, die hier fabrikmäßig getötet haben, wie am Fließband. Zu sehen, wie durchgeplant und durchdacht das hier alles war, dass all das hier genau zu diesem Zweck gebaut wurde, Menschen zu vernichten, das ist kaum zu begreifen – dass wir Menschen zu so etwas in der Lage sind.

 

Auschwitz-Birkenau ist für mich aber auch ein Ort, an dem mir deutlich wird, zu wie viel Mut und Größe Menschen in der Lage sind. Menschen wie Edith Stein.

Sie ist als Jüdin geboren und hier an diesem Ort getötet worden. Als junge Frau ist sie Philosophin geworden und katholische Ordensfrau. Hat gegen die Judenverfolgung der Nazis protestiert; musste als Philosophin ihre Lehrtätigkeit aufgeben, auf Druck der Nazis hin; und als sie und ihre Schwester von der Gestapo verhaftet wurden, da soll sie den Satz  gesagt haben: „Komm, wir gehen für unser Volk!“.

 

Bis zum Schluss hat sie sich Ihrer jüdischen Herkunft mit dem Herzen verbunden gefühlt. Ein Augenzeuge, der Auschwitz-Birkenau überlebt hat, hat berichtet, dass sie aufgefallen ist unter den Häftlingen. Sie war ruhig und gesammelt, hat sich um die Mütter gekümmert, die wahnsinnig vor Angst waren. Sie ist herumgegangen, hat beruhigt und getröstet. Die Kinder um sich versammelt, sie gewaschen, ihnen zu Essen gegeben, für Kleidung gesorgt, all das, so gut es eben ging unter diesen Bedingungen.

 

Hier an diesem Ort, wo man aufhören kann an das Gute oder an Gott zu glauben, hat sie geglaubt, vertraut. „Ihr sollt sein, wie ein Fenster, durch das Gottes Güte in die Welt hineinleuchten kann“ hat sie gesagt. Selbst in der Dunkelheit von Auschwitz hat sie geleuchtet. Morgen ist ihr Geburtstag, am 12. Oktober 1891 ist sie geboren, am 9. August 1942, hier an diesem Ort getötet worden.

 

Die Reihen derer, die Auschwitz überlebt haben und die bezeugen können, was hier geschehen ist, lichten sich. Sie bitten ausdrücklich darum: Kommt hierher, kommt an diesen Ort, vergesst nicht, erinnert, trauert, erzählt davon, auch wenn es schwer ist. Sie fordern uns auf, der Opfer zu gedenken und mit eigenen Augen anzusehen, was Menschen einander angetan haben.

 

Dieser Ort ist eine Mahnung: Er sagt: Seid sensibel und mutig, jedem Unrecht gegenüber, das geschieht, wem auch immer, wo auch immer. Tut alles dafür, Mitmenschlichkeit und Mitgefühl zu leben. In Gesellschaft und Politik, in den Kirchen und religiösen Gemeinschaften, im Freundeskreis, in der Familie. Es ist geschehen und es kann wieder geschehen. Tut alles dafür, dass es nie wieder geschieht.