Das Wort zum Sonntag: "Pflicht zur Solidarität "

Das Wort zum Sonntag: "Pflicht zur Solidarität "
Pfarrer Michael Broch
05.07.2014 - 22:35

In Europa hat die Fremdenfeindlichkeit zugenommen. Das zeigt in erschreckendem Maße die vergangene Europawahl. Das darf nicht so bleiben. Ich wünsche Deutschland und Europa intelligente und großherzige Antworten gegen die einfachen Antworten von rechts und gegen irreale Angstmacherei: Ich wünsche mir in Europa faire Asylverfahren und dass Flüchtlinge sicher auf unserem Kontinent ankommen. Nicht wir im reichen Europa haben Flüchtlingsprobleme, sondern die armen Nachbarländer der Krisenregionen.

 

Ich möchte dem alten Vorurteil widersprechen, dass Migranten den Deutschen Arbeitsplätze wegnehmen – das Gegenteil stimmt: Wir brauchen junge Menschen aus dem Ausland. Weil unsere Gesellschaft so überaltert ist und uns in verschiedenen Berufen Fachkräfte fehlen. Ich denke an zwei junge Bulgarinnen, die sich mit der deutschen Sprache noch ein wenig schwer tun, die aber in ihrem Meisterkurs für Friseurinnen die besten sind. Und alle Achtung vor Anna aus Polen, die eine alte demente Frau seit Jahren rund um die Uhr versorgt.

 

Was wir dringend brauchen ist: Solidarität. Denn zu wenig Solidarität unter den Menschen hat dazu geführt, dass die Welt immer mehr aus dem Gleichgewicht gerät: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer und sie werden immer mehr. Ein Drittel aller Menschen auf der Erde hat keinen Zugang zu frischem trinkbaren Wasser. Wir reichen Länder leben recht gut von den Natur- und Bodenschätzen aus den Armenhäusern der Welt. Dabei nehmen wir den “sozialen Tod” unzähliger Menschen dort stillschweigend hin.

 

Solidarität kann man nicht erzwingen. Für sie kann man sich nur freiwillig entscheiden. Solidarität ist ein Maßstab dafür, ob eine Gesellschaft krank ist oder gesund: Krank ist eine Gesellschaft etwa dann, wenn Arme sich verstecken müssen, weil sie sich nicht dazugehörig fühlen. Gesund ist eine Gesellschaft, wenn alle Jugendlichen die Chance auf Bildung haben und manche nicht mehr auf der Straße leben müssen. Wenn nicht mehr so viele Menschen auf Tafelläden und eine warme Mahlzeit in Vesperkirchen angewiesen sind.

 

Bei solchen Überlegungen ist für mich ein Blick auf das frühe Christentum interessant. Damals wie heute war die Welt zerrissen durch Kriege, zerrissen in maßlosen Reichtum und maßlose Armut. Doch immer mehr Menschen wurden auf die Lebensweise der Christen aufmerksam. Die ersten Christen sind spürbar besser miteinander umgegangen als ihre Umwelt. Und sie haben geheilt. Erst mit ihnen sind die Sorge für Alte und Kranke, sind Mitgefühl, Barmherzigkeit und Nächstenliebe salonfähig geworden.

 

Es gibt auch heute bei uns viele, die denen helfen, die sich nicht selber helfen können. Und was mir besonders positiv auffällt: Die jungen Leute! Noch nie haben so viele junge Menschen ein freiwilliges soziales Jahr gemacht wie heute – hier und in den Armenhäusern auf dieser Erde. Ich habe einige kennen gelernt, die in Waisenhäusern, Friedenscamps und bei Projekten in Entwicklungsländern gearbeitet haben. Sie haben die Welt dort ein Stück besser gemacht und sie selbst sind reifer geworden.

 

Mag jemand fragen: Was ist daran religiös? Was ist daran christlich? Meine Antwort: Alles. Oder mit dem Wort eines Theologen aus dem 4. Jahrhundert: “Nirgends hat der Mensch mehr mit Gott gemeinsam als in seiner Fähigkeit, Gutes zu tun.” (Gregor von Nazianz)

 

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag.