Zum ersten Mal einen Adventskalender

Zum ersten Mal einen Adventskalender
mit Pfarrerin Annette Behnken
28.11.2020 - 23:50
22.10.2020
Annette Behnken

So. Ich hab mir diese Woche `n Adventskalender gekauft. Das hab ich noch nie gemacht. Es ist allerdings auch kein normaler Adventskalender.

Es ist ja nun auch kein ganz normaler Advent. Nichts ist normal in diesem Jahr.

Advent - Zeit der Hoffnung, wird uns alle Jahre wieder gesagt. Dass irgendwann mal alles gut ist. Naja. Wer kann das ernsthaft noch hoffen? Andererseits: Leben ohne Hoffnung? Wir würden nicht forschen, hätten keine Visionen, wir würden uns nicht verlieben. Menschsein geht nicht ohne Hoffnung.

Kennen Sie das? Vielleicht noch von sich selbst noch, als Kind? Dass Sie manchmal Dinge so sehr gehofft und gewünscht haben, dass Sie dachten, allein durch die Kraft des Wünschens müsste es wahr werden?... Ich wünsch mir so sehr, ein paar bestimmte Leute endlich mal wieder richtig in den Arm zu nehmen, ohne an Abstand, Hygiene und Infektion zu denken. Ich! Die es liebe, allein zu sein und prima als Einsiedlerin klar käme: Ey, ich möchte endlich mal wieder auf einer völlig überfüllten Tanzfläche tanzen und feiern!

Naja - und dann gibt’s noch diese anderen Hoffnungen. Die ganz großen. Unerfüllten. Die, die weh tun.

Da kann ich einen langen Wunschzettel schreiben: Weniger Angst und Trauer und Tod. Und deutlich mehr Liebe. Und Ehrfurcht. Ich wünsche leere Intensivstationen. Kein Virus. Dass Querdenker anfangen, geradeaus zu denken. Ich wünsche mir, Kerzen anzuzünden mit meinen Kindern und ihnen zu sagen: Alles ist gut. Und das bleibt auch so. Fürchtet euch nicht. Ich wünsche den Wunderbar, Rat, Held, Ewig-Vater Friedefürst; den der alle Tränen abwischt. Jetzt, hier, überall und immer.

Aber so ist es nicht.

Und jetzt Advent. Zeit der Hoffnung, so die Tradition, ja. Aber: Auch Zeit der Erschütterung. So hat`s mal ein Jesuit gesagt. Und, das hat er auch gesagt: Gerade dann, wenn wir erschüttert sind, gerade dann erreichen uns die goldenen Fäden, die zwischen Himmel und Erde sind. Gerade dann, wenn wir erschüttert sind, erreicht uns eine Ahnung davon, wie die Welt sein könnte. Und sein sollte.

Ich suche diese Goldfäden. Und finde sie in ganz unterschiedlicher Weise. In der letzten Woche drei kostbare Gespräche. Mit einer Freundin über Gott und die Welt: wie wir uns die Seele vorstellen und das Leben nach dem Tod, übers Älterwerden, Gewichtsprobleme, unsere Scheidungen, schöne Klamotten und Lieblingsfilme. Ein Gespräch mit meiner Tochter darüber, wie nervig sie mich findet und wie sehr wir uns lieben. Und eines mit einer Ordensschwester über Dominosteine und Demut. Drei Goldfäden zwischen Himmel und Erde.

Ja, und dann mein Adventskalender. Ein Weihnachtsbaum aus Pappe. Hinter jedem Türchen ein kleines Projekt, das mit meinem Kauf des Kalenders unterstützt wird. Sauberes Wasser für einen Menschen in Äthiopien für anderthalb Tage. Ein paar Quadratmeter blühende Wiese für Schmetterlinge in Thüringen. Ein Frühstück für ein krebskrankes Kind in Berlin. 24 Winzigkeiten. 24 zarte Goldfäden.

Dieses Jahr hat Viele und Vieles erschüttert. Ohne Hoffnung ist das nicht zu ertragen. Es wird Zeit, dass es endlich Advent wird.

22.10.2020
Annette Behnken