Das Wort zum Sonntag "Wer bin ich? Und darf ich sein, wer ich bin?"

Das Wort zum Sonntag "Wer bin ich? Und darf ich sein, wer ich bin?"
Pastorin Nora Steen
17.05.2014 - 22:35

„Wann ist ein Mann ein Mann“. Herbert Grönemeyer konnte nicht ahnen, welchen Wirbel es um diese Frage einmal geben könnte. Da gewinnt eine Frau mit Bart einen Gesangswettbewerb und jetzt diskutiert halb Europa darüber ob das ein Sieg freiheitlicher Werte ist oder der Anfang vom Ende unserer christlichen Kultur. Ich kenne Conchita Wurst nicht persönlich. Aber ich kenne seit Jahren – nennen wir sie mal: Christa. 1 Meter 90, hellroter Lippenstift, raue Stimme, kantige Gesichtszüge. Christa hieß vor der Hormonbehandlung Christian. Ihre Wohnung ist hübsch eingerichtet: Helle Eiche, selbstgenähte Kissen, Blumen auf dem Tisch. Trotzdem ein gebrochenes Bild. Denn Christas Alltag ist alles andere als leicht. Auf Toleranz trifft sie selten: Menschen starren sie unverhohlen an, ihre Familie trauert dem Christian hinterher den es nicht mehr gibt und sie verkriecht sich oft in ihrer Wohnung. Unsere Gespräche kreisen um die Frage: Wer bin ich und darf ich in dieser Gesellschaft sein, wer ich bin.

 

„Wer bin ich und darf ich sein, wer ich bin?“ Darauf gibt es in diesen Tagen auch unter Christen keine einhellige Antwort. Ein Kirchenoberer aus Russland ließ verlauten, für ihn sei der Sieg Conchitas ein Zeichen für die „kulturelle Legitimierung von Lastern in der modernen Welt.“ Der Pfarrer hingegen, bei dem Conchita in ihrer oder: seiner Jugend als Messdiener tätig war, findet ihren Einsatz für Toleranz großartig.  

 

Ich frage mich, was würde Jesus sagen, wenn Conchita Wurst  oder auch Christa zu ihm kämen – Menschen, die in ihrer Geschlechterrolle nicht eindeutig sind. Zu ihm kamen ja die Ausgestoßenen der damaligen Gesellschaft: Zöllner, Sünder, Prostituierte, Kranke. Jesus hatte eine klare Position: Er konzentrierte sich auf das Wesentliche - er schaute ausnahmslos alle mit den Augen Gottes an – egal ob Mann oder Frau und unabhängig davon wie sie lebten. Ihm war nur eins wichtig: Suchen sie wirklich und aufrichtig nach Gott, handeln sie aus Liebe?

 

Schön, wenn ich diesen Blick auch hinbekäme. Aber ich merke: So leicht fällt mir das nicht. Mich irritiert eine Frau mit Bart im Gesicht und ganz ehrlich: Ästhetisch finde ich das nicht. Trotzdem bewundere ich die Travestiekünstlerin Conchita Wurst dafür, Menschen wie meiner Bekannten Christa helfen zu wollen, ohne Angst in unserer Gesellschaft zu leben.

 

Ich merke: Gerade meine Irritation – hin und hergerissen zwischen Abneigung und Bewunderung bringt mich zur zentralen Frage: was ist an einem Menschen wirklich wichtig. Da geht es um viel mehr als um die Alternative: „Alles Wurst“ oder „Verfall unserer Kultur“! Die Antwort Jesu ist eindeutig: Unser Gegenüber mit den Augen Gottes anschauen und so lieben, wie Gott ihn oder sie gedacht hat. Das bedeutet: Wir leben aus der Gnade Gottes, nicht aus unserer Leistung, nicht aus unserem Urteil über andere Menschen. Das ist zugegeben eine große Herausforderung, denn dieser Weg nimmt mir nicht die Irritationen, dass manches meinen eigenen Vorstellungen widerspricht. Einfacher aber ist das, was Jesus uns aufgetragen hat, nicht zu haben: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

 

Gute Nacht und einen schönen Sonntag!