Gemeinfrei via Unsplash/ Andreas Gücklhorn
Was tut Gott an Tag 8?
Die Schöpfung, ihre Bewahrung und kein Ende
27.03.2022 08:35

Bewahrung der Schöpfung - eine Überschrift, ein Schlagwort. Christinnen und Christen benutzen es, aber auch in nicht-kirchlichen Zusammenhängen wird manchmal von Geschöpfen geredet. Im Fernsehen in Tierdokus etwa. Um nicht in zwei Sätzen dreimal das Wort „Tiere“ zu sagen wird dann von der Redakteurin ein „Geschöpf“ eingeflochten. Geschöpfe in der Schöpfung. Das sind aber nicht einfach Synonyme für „Tier“ oder für „Umwelt“, es schwingt etwas mit. Ein ganzes, großes Gedankengebäude: das fußt auf zwei Geschichten aus der Bibel, die die meisten kennen, egal, wie kirchlich oder christlich sie sozialisiert sind.

Nämlich: Gott erschafft die Welt - und braucht dafür nur 7 Tage. Der letzte Schritt der göttlichen Schöpfung: Menschen. Erstmal, so die zweite biblische Schöpfungsgeschichte, nur zwei davon: Adam und Eva. Und ein Auftrag, am Ende der ersten Schöpfungsgeschichte:

 

Und Gott segnete die Menschen

und sagte zu ihnen:

»Seid fruchtbar und vermehrt euch!

Füllt die ganze Erde und nehmt sie in Besitz!

Ich setze euch über die Fische im Meer,

die Vögel in der Luft

und alle Tiere, die auf der Erde leben,

und vertraue sie eurer Fürsorge an.«
Und Gott sah alles an, was er geschaffen hatte,

und sah: Es war alles sehr gut.

(Gen 1, 28-31, Gute Nachricht)
 

Dann macht Gott eine Pause - und ist mit seiner Schöpfung erst einmal fertig. Das Werk ist abgeschlossen - und wie eine Handwerkerin ein Möbelstück oder ein Schriftsteller sein Buch betrachtet, tritt Gott einen Schritt zurück, schaut sich das Ergebnis seiner Schöpferarbeit an – hält es für gut und ist erstmal fertig. Kein Grund zur Beschwerde: Irgendwann muss jedes Projekt mal abgeschlossen werden. So wie’s eben einem Handwerker oder Künstler oder einem Menschen im Garten geht: Man ist etwas stolz, vielleicht unsicher, ob man wirklich zufrieden sein soll … wägt ab und sagt: „Jo. Kann man so lassen“.

 

So wird „Schöpfung“ heute als fertiges Produkt begriffen, durchaus von einigen Christinnen und Christen, vor allem aber von weniger gläubigen Menschen: Nach 7 Tagen war Gott fertig mit seinem Werk - und das Endprodukt ist unveränderlich. Wie eine Statue oder eine Sinfonie - nur dass Gott aus dem „Nichts“ schöpfen konnte. Der Theologe Wilfried Härle schreibt in seiner Dogmatik:

 

Wenn diese Antwort theologisch zutreffend und befriedigend wäre, dann wäre die Schöpfungslehre jedenfalls eine Alternative zu naturwissenschaftlichen Weltentstehungstheorien - möglicherweise auch zu naturwissenschaftlichen Weltentwicklungstheorien. Sie wäre also selbst (…) eine naturwissenschaftliche Theorie (1).
 

…und gar keine gute. Das spielt bei dem Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ eine große Rolle - und wie er gern missverstanden wird. Denn es gibt einen Zustand, der „sehr gut“ ist - sagt Gott. Und das ist der Zustand von Tag 6, an Tag 7 ist ja Pause. Und ab Tag 8 rocken wir Menschen von Adam und Eva bis zu den bald 8 Milliarden, die heute leben, den ganzen Laden in den Abgrund. Bewahrung der Schöpfung, die an Tag 6 einmal „sehr gut“ war, hieße also in dieser Logik: Die Welt ist ein Museum, der gläubige Mensch fungiert als Museumswärterin oder Archivar. Oder als Betreiber eines Steichelzoos. Oder als Die-Welt-Rückwärts-auf-Anfang-Dreher.

 

Zu diesem Bild hat sicher eine biblische Geschichte beigetragen, die kurz nach der Schöpfung in der Bibel erzählt wird: Die von der Sintflut. Gott ist zornig, die Menschen sind üble Gesellen – und Gott drückt gewissermaßen den „Reset“-Knopf. Ein paar gute dürfen bleiben, der Rest wird weggespült. Der brave, gehorsame Noah sorgt sich um die Tiere, alle dürfen auf seine Arche – und der gute Grundzustand wird wieder hergestellt, als die große Flut sich verzogen hat.

Und dieser Zustand wird in der Folge bewahrt? Was tut Gott denn an Tag 8? Der belgische Regisseur Jaco Van Dormael hat mit seinem Film „Das brandneue Testament“ 2015 eine witzige Antwort gegeben: Der miesepetrige Gott aus der Noah-Erzählung piesackt seine Schöpfung:

 

„Man muss sich diesen Gott als frustrierten Typen vorstellen. Er lebt in einer spießigen Dreizimmerwohnung mit seiner stillen, etwas einfältigen Frau und ihrer rebellierenden zehnjährigen Tochter Ea, schlurft im Bademantel schlecht gelaunt durch die Räume und erschafft die Welt eher aus Langeweile. „Das brandneue Testament“ beginnt chronologisch mit der Genesis, aber aus ungeklärten Gründen, vermutlich einem Systemfehler (Gott arbeitet an einem Computer älterer Bauart), sieht das Paradies wie Brüssel aus. Uber dieser Stadt thront Gott in einem Hochhauskomplex, genehmigt sich gelegentlich ein Bier und verbringt den Arbeitstag damit, seine Geschöpfe zu quälen.“ (2)

 

Auch wenn „Das brandneue Testament“ als Spaß angelegt ist - eins beschreibt der Film schon ganz richtig: Das mit der Erschaffung der Welt, der Schöpfung, das hat nicht aufgehört. Und am Brüsseler Schöpfungscomputer, eher Atari als MacBookPro, werkelt Gott im Film immer noch. Täglich. Die Schöpfung ist hier eine Interaktion, ein Beziehungsgeschehen. Gott hat nicht aufgehört, er ist noch immer mit seiner Schöpfung beschäftigt. Allerdings - und das ist eben Film-Unterhaltung, nicht Theologie - als Miesepeter. In der evangelischen Dogmatik ist das Beziehungsgeschehen weniger unterhaltsam - aber es meint in etwa das gleiche, nur dass Gott nicht so übellaunig ist:

 

Die Welt ist „von Gott gewollt und bejaht. Es ist ein Ausdruck des Wesens Gottes, also der göttlichen Liebe, dass er die Welt ins Dasein ruft. Und diese Liebe ist (…) nicht so etwas wie eine Initialzündung, die die Welt entstehen lässt und sich dann allmählich verflüchtigt, sondern sie ist der kontinuierliche, verlässliche Grund und das Bestimmungsziel der Welt im ganzen und jeder Kreatur im einzelnen. Und darum ist die Liebe Gottes, die in der Schöpfung Gestalt annimmt, das, was Gott und die Geschaffene Welt miteinander verbindet.“ (3)


Das heißt letztlich: Die Schöpfung steht nicht still. Der Prozess der Schöpfung dauert an und ihre Gestalt wandelt sich. Und wir Menschen sind ein Teil davon, der in die Schöpfung fortwährend eingreift. Die Schöpfung zu bewahren heißt darum nicht „Finger weg“ und gar nichts mehr tun. Gott ist eben nicht Museumswärter, schon gar nicht ein übellauniger. Und der Mensch ist nicht Streichelzoo-Besitzer. In der Bibelübersetzung von Luther steht das Wort „untertan“: Macht Euch die Welt untertan. Das führt schnell in die Irre - man kann das so eigentlich nicht mehr sagen. In der moderner formulierten „Gute Nachricht“-Übersetzung fehlt das Wort ‚untertan‘ dann auch. Da wurde der hebräische Text mit „Besitz“ und „Fürsorge“ in ein heutiges Sprachverständnis übertragen:


Füllt die ganze Erde und nehmt sie in Besitz!

Ich setze euch über die Fische im Meer,

die Vögel in der Luft

und alle Tiere, die auf der Erde leben,

und vertraue sie eurer Fürsorge an.

 

Die Schöpfung läuft und läuft und längst haben wir Menschen Natur und Geschöpfe in Besitz genommen. Und damit nach biblischer Sicht eine Art Fürsorgepflicht dafür. Das Gestalten der Schöpfung ist in dieser Perspektive sogar gefordert. Das machen Menschen auch - seit Jahr und Tag. Jahrtausendelang haben sich die menschlichen Eingriffe in die Schöpfung im Rahmen gehalten. Klar - Umweltverschmutzung gab es auch weit vor der industriellen Revolution. Schon die Öfen der Bronzezeit haben mächtig geraucht. Man kann das heute noch messen. Für Kriegsflotten sind vor Jahrhunderten die Wälder ganzer Länder gerodet worden - alles heftige Eingriffe in die Schöpfung.

Neu ist, dass Menschen mit ihren Eingriffen ihre eigene Lebensgrundlage, das Leben auf dem Planeten Erde grundlegend gefährden. In Aufbruchszeiten wie vor über 100 Jahren konnten wir Menschen uns noch - vielleicht sogar zu Recht - etwas auf unsere eigene, großartige Schöpferkraft einbilden. Die Moderne der Dampfloks und der Stahl- und Kohle-Industrie als Zeichen unserer Gott-Ebenbildlichkeit. Wir Gott-Menschen holten das Optimum aus der Schöpfung heraus, die wir präzise zu beherrschen glaubten.

Irgendwann in den 1970er-Jahre wussten zumindest einige Wissenschaftler Bescheid: Das Klima ändert sich alarmierend, Schuld ist die massenhafte Emission von CO2. Viele - die meisten von uns - konnten das Problem ignorieren. Aber jetzt ist höchste Zeit, die „Fürsorge“ für unseren „Besitz“ nicht mehr so zu definieren, wie vor 150 Jahren. Das „Bewahren“ von Schöpfung heißt: aktiv werden, jetzt.

Die Evangelische Kirche Deutschlands formuliert das in ihrer Denkschrift „Umkehr zum Leben“ von 2009 bereits so:


Immer wieder sind Menschen diesem Auftrag nicht gerecht geworden und haben sich vor Gott und der Schöpfung schuldig gemacht. Die Bibel erzählt viele Geschichten dieser Verfehlungen, aber auch Geschichten von Gottes Geduld und Güte, mit der er Menschen, die in die Irre gegangen sind, zur Umkehr, zum Leben ruft und sie wieder auf den richtigen Weg bringt. (…)        
Als evangelische Kirche sind wir davon überzeugt, dass zur Abmilderung der Folgen des Klimawandels und für die Erhaltung der Lebensgrundlagen fü
r künftige Generationen ein einschneidender Mentalitätswandel in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nötig ist. Eine solche Wende zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise verlangt nach einer Umkehr, die die Bibel "Metanoia" nennt, eine radikale und umfassende Umkehr (4).
 

Der Mentalitätswandel, eine radikale und umfassende Umkehr – sie kommt jetzt, 2022, langsam in den Köpfen unserer Gesellschaft an. In der Industrie, in der Politik und bei vielen, vielen einzelnen Bürgerinnen und Bürgern:


Bei privaten Haushalten fließt auf einmal Geld in neue Kanäle. Der meistverkaufte Neuwagen bei Privatkunden in Deutschland war zu Beginn dieses Jahres erstmals seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr der VW Golf, sondern das elektrisch fahrende Tesla Model 3. Porsche verkaufte zuletzt von seiner Ikone 911 weniger Autos als vom Elektromodell Taycan (5). Und Porsche ist sicher nicht die Lieblingsmarke immer schon grün-denkender Leute.
Und in suburbanen Nachbarschaften ploppen die Photovoltaik-Anlagen auf privaten Hausdächern auf. Der Strom wird dezentral und privat erzeugt und selbst verbraucht, die Tankstelle nicht mehr angefahren. Das Ganze rechnet sich auch noch! Das finden Nachbarn interessant - und vielerorts gibt es lange Wartezeiten für die Solaranlage, einfach weil so viele eine haben wollen. Und in den letzten Wochen hat sich zunehmend noch eine Stimmung gedreht: Viele waren noch zu träge, die alte Gasheizung auszutauschen. Aber jetzt gibt es einen zusätzlichen Grund, auf Gas verzichten zu wollen: das schlechte Gewissen, mit unserem Gaskonsum Putins Krieg zu finanzieren. Zusammen mit der CO2-Belastung eine inzwischen riesige Hypothek. Die lässt sich aber relativ einfach abtragen mit einer umweltfreundlicheren Wärmepumpe. Viele wollen die Wende zur Nachhaltigkeit jetzt vollziehen – sogar über die Parteigrenzen hinweg. Vielleicht erstmal die Eigenheimbewohner in der Vorstadt, aber irgendwer muss ja mal anfangen.
„Metanoia“, Umkehr – das muss nicht heißen, wie Adam und Eva nackt unter Bäumen zu sitzen und im Winter ohne Heizung zu frieren. Die Schöpfung geht weiter und in ihr nimmt Gottes Liebe Gestalt an. Nicht unbedingt in jeder einzelnen Wärmepumpe oder Photovoltaikanlage – aber vielleicht doch in dem Mut und der Ausdauer, die nötige Umkehr auch ganz konkret zu wagen.  Und so die Schöpfung fürsorglich zu bewahren, so gut wir können. Die Erkenntnisse der Wissenschaft, die wohlklingenden Wahlprogramme der Parteien und die Denkschriften auch der Kirchen sind nicht neu. Sie alle brauchen eine radikale Umkehr, die konsequente Umsetzung - die steht aus. So gedacht wird aus der Bewahrung der Schöpfung die Gestaltung einer guten Zukunft, für alle. Christinnen und Christen wissen – mit dieser Aufgabe sind sie nicht auf sich allein gestellt.   

"Umkehr" meint hier nicht die Umkehr zu vergangenen vermeintlich besseren Zeiten, sondern im biblischen Sinne die radikale Neuausrichtung auf Gottes Heilszusagen und Gebote. Es geht um Erneuerung des Denkens und Handelns durch den Glauben an das Evangelium Jesu Christi."

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Musik dieser Sendung:

 

  1. Gregor F. Narholz, Fragile Truth A, CD-Titel: Invisible Wounds (SCDV 865)
  2. Udi Harpaz, Or Chausha, Harel Tsemah, After the World Ended, CD-Titel: Scars
  3. Anthony Luka Kasirivu, 5.0, CD-Titel: Trendy Urban Electronica – Drama & Lifestyle (Afro 200)
     

Literaturangaben:

  1. Härle, Dogmatik, S. 407
  2. http://www.dasbrandneuetestament-derfilm.de/media/pdf/schulmaterial/Unterrichtsmaterial%20Das%20brandneue%20Testament.pdf
  3. https://www.ekd.de/Klimawandel-5-Theologische-Orientierung-584.htm
  4. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/autobauer-zeitenwende-bei-porsche-der-taycan-schlaegt-erstmals-den-911er/27706838.html
  5. https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/autobauer-zeitenwende-bei-porsche-der-taycan-schlaegt-erstmals-den-911er/27706838.html