Vergebliche Liebesmüh?

Morgenandacht

Gemeinfrei via Unsplash/ jose alfonso sierra

Vergebliche Liebesmüh?
Morgenandacht von Frank Mühring
17.01.2023 - 06:35
23.12.2022
Frank Mühring
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Die Bibel steckt voller Lieder. Auch ein Protestsong ist darunter. Jesaja, der Prophet, singt ihn. Er tritt auf im Gewand eines Liedermachers. Mitten auf dem Marktplatz greift er in den Saiten und singt wie ein Bänkelsänger:

„Mein Freund hatte einen Weinberg auf fruchtbarem Grund.
Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben.
Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter darin und wartete darauf, dass dort er gute Trauben brächte; aber - er brachte schlechte.“ (Jesaja 5,1b-2)

Jesaja klagt: Alles hatte mein Freund getan, damit etwas wächst. Aber: vergebliche Liebesmüh. Kennt Ihr das nicht auch, fragt Jesaja seine Hörerinnen und Hörer: Du rackerst Dich ab und am Ende stehst Du mit leeren Händen da?

Beim Stichwort „Weinberg“ muss es bei den Zuhörern geklingelt haben. Der Weinberg ist ein Bild für die Liebe. Wer einmal seine ganze Leidenschaft eingesetzt hat, um etwas zu erreichen, der weiß, wie das ist. Du bist beseelt davon. Mein Projekt. Mein Lebensziel. Meine Liebe. Du setzt viel Schweiß und vielleicht auch Energie ein. Du willst den Erfolg erzwingen. Aber: Er bleibt aus. Statt süßer reifer Früchte erntest Du nur kleine schrumpelige Trauben. Du zahlst Lehrgeld, deine Liebe zerfließt. Liebe Leute, sind wir nicht alle auch irgendwann mit unserer Liebe gescheitert? fragt Jesaja in die Runde.

Da haben wir uns die größte Mühe gegeben mit unseren Kindern. Haben unglaublich viel Liebe in ihre Erziehung investiert - und dann machen sie so wenig aus ihrem Leben. Da ebnen wir ihnen einen guten Weg, aber sie gehen in eine völlig andere Richtung. Da tun wir unheimlich viel, um unsere Beziehung zu einem Mann, zu einer Frau lebendig zu halten, verschwenden einen Haufen Liebe und Sorgfalt. Doch dann zerfasert die Liebe und wir fragen uns: Warum?

Im Lied des Jesaja verliert der engagierte Weinbergsbesitzer die Geduld. Seine Liebe kippt um und verwandelt sich in grimmigen Zorn.

„Nun, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun werde! Den Zaun aus Dornen reiße ich aus, um ihn im Feuer zu verbrennen; die Mauer reiße ich nieder, damit er zertreten und zertrampelt wird. Meinen Weinberg mache ich zu einer Wüste.“

Der Weinbergbesitzer überlässt die Reben ihrem Schicksal. Kein Happyend. Ein melancholisches Lied. „Ach hör doch auf!“ wird Jesajas Publikum gezischt haben. „Du bist doch ein Prophet. Wo bleibt denn da das Positive?“

Aber Jesajas Lied ist noch nicht zu Ende. Es nimmt eine überraschende Wendung. „Du bist es! Ihr seid dieser Weinberg,“ singt Jesaja. Gott hat all seine Liebe in dich hineingesteckt. Du, lieber Mensch, bist gemeint.

Ich kann mir vorstellen, dass es da ganz still ist auf dem Marktplatz und um den Propheten. Betretenes Schweigen. Fragende Blicke: Was, es geht um uns? 

Protestlieder werden gesungen, damit Sichtweisen sich ändern. Damit sich etwas bewegt in eine neue Richtung. Und das tut es. Weinbergbesitzer können resignieren. Gott nicht. Er hört nicht auf zu lieben. Seine Liebe bleibt.

„Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel. … Seine Pflanzung, an der sein Herz hängt.“ (Jesaja 5,7*)

Jesajas Lieder sind Programm: Sein Name „Jesaja“ bedeutet: Gott heilt. Gott rettet. Gott befreit. Wer sein Weinberglied hört, der ahnt: Gott ist anders als der zornige Weinbergbesitzer, von dem Jesaja singt. Gottes Geduld mit uns Menschen endet nie. Niemals würde Gott seinen geliebten Weinberg, seine Welt, sich selbst überlassen. Seine Liebe ist so geduldig, dass nichts von ihm trennen kann. Gott vergisst seine Menschen nicht. Für ihn gibt es keine vergebliche Liebesmüh. Jeder Tag ist wie ein neuer Anfang. Für Gott und für jeden einzelnen in seinem Weinberg. 

Es gilt das gesprochene Wort.

23.12.2022
Frank Mühring