Morgenandacht
Gemeinfrei via Pixabay/ analogicus
Hoch- und Tiefdruckgebiete
Morgenandacht von Pfarrer Holger Treutmann
19.06.2023 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Die Wetterstation hing bei uns im Wohnzimmer. Die Eltern hatten sie in Augenhöhe an der Wand befestigt. Wenn Vater an der Wetterstation vorbeikam, klopfte er am Barometer, um zu sehen, ob der Zeiger eher nach rechts oder nach links rückte. Er wollte eine Tendenz ablesen. Man konnte auch einen Zeiger auf den derzeitigen Luftdruck stellen, so dass man am nächsten Tag ablesen konnte, ob eher schönes Hochdruckwetter oder Regen im Tiefdruckgebiet zu erwarten war.  Ich hätte immer gern Sonne gehabt. Vater freute sich auch über Regen, wenn der Boden im Garten trocken war.

Blaise Pascal wurde vor 400 Jahren geboren. Ob analog oder digital – der Luftdruck am Barometer wird in der Einheit Hektopascal angegeben. Pascal war ein Universalgelehrter. Er forschte nicht nur zu physikalischen Größen, er war auch Philosoph und Mathematiker. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung geht auf ihn zurück und auch eine erste mechanische Rechenmaschine, die Pascaline.

Blaise Pascal soll gesagt haben, es sei weitaus besser, etwas über alles zu wissen, als alles über eine Sache.  Das klingt aktuell: Fachwissen wird in der modernen Welt immer spezieller. Und da ist die Frage berechtigt: Wie können Wissenschaftlerinnen in der interdisziplinären Arbeit eine Sprache finden, die für alle verständlich ist? Wie können Politiker komplexe Sachverhalte differenziert ausdrücken – in verstehbarer Sprache? Das scheint mir wichtig, um die Welt als Ganzes im Blick zu behalten. Fachidioten helfen dabei nicht.

Pascal hat auch den christlichen Glauben verteidigt. Er wollte deutlich machen: es gibt vernünftige Gründe, an Gott zu glauben. Gott beweisen wollte Pascal nicht. Er wirbt vielmehr für einen Gottesglauben –  aus Lebensklugheit, die unmittelbar einleuchtet.

„Ihr sagt also, daß wir unfähig sind zu erkennen, ob es einen Gott giebt. Indessen es ist gewiß, daß Gott ist oder daß er nicht ist, es giebt kein Drittes. Aber nach welcher Seite werden wir uns neigen?“ (1) So heißt es bei Pascal.

Vier Optionen spielt er im Sinne einer Wahrscheinlichkeitsrechnung durch und zieht dabei zwei Konstanten ins Kalkül: Den Willen zur Vernunft einerseits, und die ewige Seligkeit andererseits:

1. Man glaubt an Gott, und Gott existiert.

In diesem Fall wird man in der Ewigkeit belohnt.

2. Man glaubt an Gott, und Gott existiert nicht.

In diesem Fall gewinnt man nichts, aber man verliert auch nichts.

3. Man glaubt nicht an Gott, und Gott existiert nicht.

In diesem Fall gewinnt man ebenfalls nichts, verliert aber auch nichts.

4. Man glaubt nicht an Gott, und Gott existiert.

Dann ist in der Ewigkeit alles verloren.

„Aber eure Seligkeit?“ fragt Pascal. „Wir wollen Gewinn und Verlust abwägen, setze du aufs Glauben, wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du verlierst, verlierst du nichts. Glaube also, wenn du kannst.“ (aaO)

Pascals logische Argumentation leuchtet mir ein. Trotzdem sperre ich mich gegen einen Glauben aus Kalkül. Weder glaube ich an einen Gott, der berechenbar ist wie eine mathematische Formel, noch wünsche ich mir einen Glauben, der nur darauf abzielt, im Himmel belohnt zu werden.

Glauben ist eine lebendige Beziehung im Geist der Liebe. Und die ist nicht nur irgendwann für eine Ewigkeit relevant. Sie möchte heute gelebt werden. Durch Freude am Leben. Verantwortung für die Welt. Den Blick für den, der meine Hilfe braucht. Vertrauen, dass Gott auch Schwächen und Versagen liebevoll ansieht. Das glaube ich.

Und doch ist mein Glaube  wechselhaft wie das Wetter.

Es gibt Tage, da bin ich voller Gottvertrauen und im Einklang mit dem Leben; und es gibt Tage, da wird mir alles fragwürdig.  Jedenfalls hoffe ich auf einen Gott, der die Hochdruck- und Tiefdruckgebiete meines Lebens kennt, und am Ende seine Arme weit ausspannt, egal wie stark oder zerbrechlich mein Gottvertrauen über die Jahrzehnte gewesen ist.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literatur dieser Sendung:

  1. Blaise Pascal: Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. S. 246 f.