Sonnenallee
von Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
29.11.2023 06:20
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Worte können zaubern. Manchmal genügt ein einziges und schon läuft ein Film ab. Dieses zum Beispiel: Sonnenallee. Tatsächlich ein legendärer Kinofilm aus dem Jahr 1999 von Leander Haußmann über die berühmte Straße zwischen Berlin-Neukölln und Treptow-Köpenick, vor 1989 Straße an der Berliner Mauer. Woran denken Sie bei dem Wort Sonnenallee? An einen Spaziergang in warmer Sommerluft? An Currywurst und Kebab? An Schusswechsel und brennende Autoreifen, an Israelhass, der sich auf der Straße austobt?

Ich will Ihnen erzählen, woran ich denke: Ich denke an meine erste eigene Wohnung, die ich geliebt habe – die war an der Berliner Sonnenallee. Ich denke an die Neueröffnung des gleichnamigen S-Bahnhofs im Dezember 1997 und wie wunderbar frei es sich angefühlt hat, das erste Mal dort aussteigen zu können. Ich denke an den Mix aus Kulturen und Religionen, der mich berauschte. Die Menschen in meinem Kiez hatten wenig und waren viel füreinander da. Sie nahmen kein Blatt vor den Mund. Ich habe mich nie unsicher gefühlt, auch nicht, wenn ich nachts alleine nach Hause ging. Immer waren Menschen auf der Straße. Die Kneipe gegenüber wurde nur eine Stunde zum Putzen geschlossen. Ist lange her, aber unvergessen bis heute: Ich denke bei Sonnenallee tatsächlich an Sommer, Lebendigkeit und Freundlichkeit. Trotz allem.

Worte haben eine Bedeutung. Jerusalem zum Beispiel bedeutet Stadt des Friedens. Das hebräische Wort Schalom klingt darin an: Friede, Gesundheit, Wohlergehen. Zeiten ändern sich – dann klingen Worte plötzlich anders. Dann stimmt ihre ursprüngliche Bedeutung irgendwie nicht mehr. Weil andere Gefühle plötzlich mitschwingen. Bleibt am Ende nur die traurige Erinnerung an das, was war.

Doch Worte können mehr. Sie haben schöpferische Kraft. Sie zeigen, was werden kann. Am Anfang der Bibel heißt es: "Gott sprach: Es werde Licht – und es ward Licht." Ein starker Satz, ein mächtiges Wort. Vielleicht geht das mit Sonnenallee auch so. Kürzlich las ich den Artikel von einem Autor, der ebenfalls lange dort gewohnt hat. Er beschreibt den Hass von Arabern gegen Israel, der ihm bei seiner Recherche entgegenschlägt, und von der großen Hilfsbereitschaft ein und derselben Menschen, wenn es um Nachbarschaft geht. Am Ende stellt er bittend die Frage: Können wir nicht gemeinsam traurig sein?

Worte. Sie halten die Sehnsucht wach und erinnern an unsere Kraft, es besser zu machen. Sonnenallee: Menschen fröhlich auf den Straßen. Jerusalem – eine Stadt des Friedens.

Es gilt das gesprochene Wort.