Der Pianist
von Pfarrerin Barbara Manterfeld-Wormit
02.12.2023 06:20
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Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!

Mit diesen Worten aus dem 24. Psalm beginnt in den Kirchen morgen der Erste Advent - und mit dem wohl bekanntesten Adventslied, das dabei gesungen wird: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit! Ich mache damit ernst, indem ich wie jedes Jahr am Sonnabend davor in den Keller eilen werde, um den Verschlag zu öffnen und dort nach den Adventskisten zu suchen. Ich werde sie nach oben tragen und mit dem Inhalt die Wohnung schmücken. Ich werde beim vietnamesischen Blumenladen nebenan meine Tannenzweige besorgen und mich wie jedes Jahr ärgern, dass ich wieder zu spät bin und alle roten Kerzen für den Kranz bereits ausverkauft und nur noch weiße oder grüne zu haben sind. Ein Flügel der Adventspyramide fehlt. Ob sich die Pyramide nun dreht, ist fraglich. Egal – hoch die Tür!

Es geht oft hektisch zu im Advent. Zum Glück gibt es andere, die Türen öffnen und mir helfen, Gott den Weg zu bereiten. Innerlich meine ich. Denn das eint ja die Adventszeit vor allem: Es geht nicht um äußerlichen Schmuck und perfekte Feierlichkeiten. Die sind nur Mittel zum Zweck. Meine Seele soll sich bereiten. Zur Ruhe kommen. Sich neu ausrichten auf den, der da kommt in diese turbulente Welt. Da finde ich die alten Worte nach wie vor wunderbar: den Weg bereiten. Gott und mir.

Ich bin also unterwegs in der lauten Stadt Berlin am U-Bahnhof Unter den Linden. Hier ist es besonders voll. Ein echter Umschlagplatz. Die Menschen eilen und hasten mit Einkaufstüten und Kinderwägen, zu Fuß, mit dem Roller oder mit Gehilfen. Alle sind unterwegs und auf den Beinen. Nur nicht einer: Ein Mann sitzt plötzlich da – mitten in der Bahnhofshalle an einem Klavier und spielt. Die Luft ist kalt. Es zieht. Das Klavier hat bessere Tage gesehen: Es ist verstimmt, doch es klingt trotzdem. Der wundersame Pianist sitzt da auf einem Barhocker, denn das Klavier steht auf einem Lastenwagen mit Rädern, so wie es sie im Baumarkt gibt. Sein Klang ist gewaltig. Menschen bleiben stehen, drehen sich um. Kinder laufen zu dem Mann und sehen zu ihm auf. Er spielt lächelnd weiter. Die Musik erfüllt den ganzen Raum. Der Mann an seinem alten, zerkratzten Klavier verändert alles: Raum und Zeit.

Es wird Advent. Da gehen Türen auf und Räume beginnen zu klingen. Der Bahnhof liegt übrigens direkt am Brandenburger Tor, dem Wahrzeichen von Berlin. Es ist ein Symbol für offene Türen - da draußen und in unseren Herzen. Das ist Advent.

Es gilt das gesprochene Wort.