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Der Bundestag plant mit den Stimmen aus Ampel und Union, den 15. Juni zum nationalen Veteranentag zu erklären. Der Verteidigungsminister möchte, dass Deutschland „kriegstüchtig“ wird, man erwägt die Wiedereinführung der Wehrpflicht – soll das die Marschrichtung für diesen Gedenktag sein?
Ich bin an meine Jugendjahre erinnert. Bei der Musterung wurden mein Kollege und ich mit der gleichen Frage konfrontiert: „Sie haben eine Waffe, Ihre Freundin wird vergewaltigt, was tun Sie?“ Bei ihm im Westen war der Angreifer im Fallbeispiel ein Russe, bei mir im Osten ein Amerikaner.
Beide haben wir das fünfte Gebot aus der Bibel zitiert: „Du sollst nicht töten.“ Es war eine standardisierte Antwort, um als Kriegsverweigerer beziehungsweise Bausoldat anerkannt zu werden. Schon damals war mir klar, dass diese Notwehrsituation nichts mit meiner Skepsis gegenüber dem Militär zu tun hatte.
Wenn es um Krieg und Frieden geht, sind andere Überlegungen anzustellen. Einige meiner Freundinnen und Freunde haben sich in den vergangenen beiden Jahren von Pazifisten zu Militärstrategen gewandelt. Wenn ich der Logik ihrer Argumente folge, kann ich sie verstehen. Aber es ist die gleiche Logik, die uns damals bei der Musterung präsentiert wurde, mit fast gleichen Worten in Ost und West: Wer Frieden will, muss bereit und in der Lage sein, Kriege zu führen.
Kriege folgen anderen Gesetzen als dem Prinzip der Notwehr. Kriege verlassen strukturell den Boden der Menschlichkeit, selbst da, wo zunächst alles eindeutig zu sein schien. In allen Kriegen sterben Zivilisten, wenn sie in die Schusslinie geraten. Das in Kauf zu nehmen, muss trainiert werden. Hemmungen müssen überwunden werden. Manchmal gehört der Tod von Zivilisten sogar ins Kalkül einer eskalierten Kriegsführung. Dresden und Hiroshima waren Verbrechen in einem Befreiungskampf.
Mein Gewissen verbietet mir, in einer Befehlskette zu stehen, in der ich die Entscheidung über Leben und Tod an andere delegiere. Aber meine Bedenken sind auch grundsätzlicher Natur. Ich sehe die Welt insgesamt auf einem gefährlichen Kurs. Und dabei ist nicht nur der Krieg selbst die Gefahr. Schon mit der Rüstung verschwenden wir jene Ressourcen, die wir für die Sanierung unseres misshandelten Planeten dringend brauchen.
Ich frage mich, wie so ein Veteranentag aussehen soll, den uns Ampel und Union in den Kalender schreiben. Kommen die Afghanistankämpfer zu Wort, die Leben und Gesundheit für mehr Menschlichkeit aufs Spiel gesetzt haben und nun frustriert auf die verheerende Bilanz ihres Einsatzes zurückblicken? Bekommen die Familien eine Stimme, die mit den Traumata ihrer Kriegsheimkehrer irgendwie zurechtkommen müssen?
Werden an so einem Veteranentag auch die aus der Armee gehört, die Fehler bei Auslandseinsätzen aufdecken? In den USA hat die Whistleblowerin Chelsea Manning, selbst Mitglied des Militärs, Kriegsverbrechen der US-Army offengelegt. Sie kam dafür ins Gefängnis, bis Präsident Barack Obama einen Großteil ihrer Strafe erlassen hat. Wird an einem Veteranentag in Deutschland auch grundsätzliche Kritik Platz haben oder geht es dann nur um wohlklingende Dankesreden?
Ich weiß um die Kraft der Worte. Und so macht es für mich einen großen Unterschied, ob Deutschland „kriegstüchtig“ oder „verteidigungsfähig“ sein will.
Der Beitrag der Kirchen sollte der Protest gegen alle Kriegsrhetorik sein. Jesu Worte ermutigen dazu: „Selig die Friedensstifter, sie werden Gottes Kinder heißen. Selig die Sanftmütigen, sie werden das Erdreich besitzen.“ (Matthäus 5,5.9)
Es gilt das gesprochene Wort.