Der Johannistag am 24. Juni feiert die Lebenskunst, nicht ständig im Vordergrund stehen zu müssen.
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"Nimm dich mal nicht so wichtig." Das klingt erst einmal hart. Fast wie eine Ohrfeige für unser Selbstbewusstsein. Schließlich wird uns doch überall gesagt: Sei einzigartig! Setz dich durch! Sei sichtbar! Und dann das: Nimm dich mal nicht so wichtig.
Doch genau dieser Gedanke steht im Kirchenkalender heute im Mittelpunkt. Der 24. Juni ist der Johannistag – der Gedenktag für Johannes den Täufer. Ein Mann, der sich bewusst zurücknahm. Viele Menschen kamen zu Johannes an den Jordan, um sich taufen zu lassen. Auch Jesus, damals noch völlig unbekannt. Johannes sieht ihn und sagt: "Er, also Jesus muss wachsen, ich aber muss abnehmen."
Das ist eine Haltung, die zu jeder Zeit wie aus der Zeit gefallen wirkt. Johannes wusste: Nicht er selbst steht im Mittelpunkt, sondern das, was durch ihn hindurchscheinen soll. Gottes Licht. Und das bringt dieser Jesus, den noch keiner kennt.
Sich selbst zurücknehmen, um den Blick auf etwas Tieferes zu lenken. Das kann auch die Kunst. Heute vor 30 Jahren, am 24. Juni 1995, wurde der Berliner Reichstag verhüllt – ein Kunstprojekt von Christo und Jeanne-Claude. Wochenlang war das Zentrum der deutschen Demokratie unter silbrigem Stoff verborgen. Und paradoxerweise sah man gerade dadurch mehr: die Form, die Geschichte, die Symbolkraft dieses Gebäudes, den hohen Wert der Demokratie.
Das trat durch die Verhüllung in neuer Klarheit hervor. Als ob durch das Weglassen des Offensichtlichen das Eigentliche sichtbar wurde. Ich erinnere mich, was für eine Leichtigkeit und Lebensfreude diese Kunstaktion auf die Stadt und weit darüber hinaus ausstrahlte. Ausgelöst dadurch, dass etwas verhüllt wurde, sich zurücknahm.
Mein Eindruck ist, dass das manchmal auch mit uns selbst so ist. Wenn ich mich nicht ständig in den Vordergrund dränge, wenn ich nicht immer das letzte Wort haben muss, dann kann mehr vom anderen sichtbar werden. Vielleicht der Mensch neben mir. Vielleicht Gottes Wirken. Vielleicht einfach nur der Moment.
"Nimm dich mal nicht so wichtig." Das ist kein Aufruf zur Selbstverleugnung. Es ist ein Gegenentwurf zur Selbstüberschätzung. Eine Einladung zur Demut – nicht als Ducken, sondern als Kraft. Wer sich nicht selbst aufblasen muss, hat die Hände frei. Zum Helfen, zum Segnen, zum Loslassen.
Johannes der Täufer hat das vorgelebt. Auch der verhüllte Reichstag vor 30 Jahren ist ein Sinnbild dafür: Manchmal leuchtet das Eigentliche auf, wenn das Ich in den Hintergrund tritt.
Mich mal zurücknehmen. Nicht um kleiner zu werden, sondern damit das Leben größer werden kann.
Es gilt das gesprochene Wort.
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