Je suis Charlie
26.01.2015 06:35

Das kann wahrscheinlich nur jemandem passieren, der kein Französisch kann: Statt "Je suis Charlie", "Jesus Charlie" zu lesen. Ich kann leider kein Französisch. Ein paar andere Sprachen leidlich, aber kein Französisch. Als ich das erste Mal die Schilder in den Händen der Demonstranten im Internet sah, las ich eben "Jesus Charlie", statt "Je suis Charlie"  Und fragte mich, peinlicherweise: Was heißt Jesus Charlie?

 

Natürlich habe ich bei näherem Hinsehen meinen Fehler bemerkt. Es heißt "Je suis Charlie", "Ich bin Charlie" und nicht "Jesus Charlie". Und ich freue mich noch immer über die unzähligen Solidaritätsbekundungen, überall, ob im Netz, in Frankfurt im Touristenbus oder, oder, oder. "Charlie Hebdo", die Zeitschrift, die sich traut, über vieles Witze zu machen, hat die Solidarität bleibend verdient. Und ich freue mich darüber, dass wir Europäer endlich wieder wissen, was Solidarität ist. Aber ich bin noch immer entsetzt und entsetzlich traurig über das, was in Paris geschah. Die Solidarität macht nichts ungeschehen, keinen der Morde an den Mitgliedern der Redaktion von "Charlie Hebdo", keinen an den französischen Juden und den Polizisten. Aber diese Bluttaten bringen zu Bewusstsein, wer wir sind und wer wir sein wollen, welche Werte uns wichtig sind und was uns die Freiheit der Meinung wert ist.

 

"Je suis Charlie", also "Ich bin Charlie", das heißt, auch ich wäre es wert, Ziel möglicher Angriffe von Terroristen und Islamisten zu sein. Denn ich stehe für diese Werte der Freiheit und der freien Meinungsäußerung, auch auf Kosten der Religion, welcher auch immer. Ja, "Je suis Charlie!"

 

Um auf meinen Lesefehler vom Anfang zurückzukommen: "Jesus - Charlie": Das hieße übersetzt: Jesus ist - Charlie? Hätte Jesus sich dieses Schild auch umgehängt? Diese Frage zu beantworten, ist vermessen. Aber Jesus stand an der Seite der Opfer und wurde selbst zum Opfer. Und das Johannesevangelium überliefert von Jesus den Satz "Die Wahrheit wird euch frei machen!". Und das stimmt auch in Bezug auf die Satirezeitung "Charlie Hebdo": Satire hat viel mit Wahrheit zu tun, ob mir das passt oder nicht. Satire ist ihrem Selbstverständnis nach unbequem, verstörend und manchmal ärgerlich, gerade für Religionsvertreter, zu denen auch ich gehöre. Satire ist dabei nicht nur von der Pressefreiheit geschützt, sie ist als solche auch wichtig. Denn sie schenkt den Blick von außen. Der ist oft unbarmherzig, unbequem und meistens unverschämt und gelegentlich geschmacklos. Er schmerzt, weil er überzeichnet, aber er enthält oft viel Wahrheit, entlarvende Wahrheit.

 

Satiriker und Karikaturisten sind heute das, was früher die Hofnarren der Könige waren. Sie halten den Machthabern und Institutionen einen Spiegel vor und dürfen Dinge sagen, die man sonst lieber schönredet oder verschweigt. Diese Narrenrolle trifft aber auch auf die Kirchen und ihre Pfarrer zu. Auch sie wollen der Gesellschaft immer wieder einen Spiegel vorhalten und auf Fehlentwicklungen hinweisen. Nur wählen sie dazu eher die Bußpredigt oder die Denkschrift als die Überzeichnung und den Humor. Auch wenn es seltsam klingen mag: In dieser Narrenrolle sind sich Pfarrer und Satiriker gar nicht so fern. Zwischen Pegida, Islamisten und Menschen, für die nur Aktienkurse und Gewinne zählen, suchen beide nach der Wahrheit für ein besseres Leben und eine gerechtere Gesellschaft.

 

"Je suis Charlie!". Ich sage es aus ganzem Herzen.

Sendungen von Pfarrer Dr. Thomas Dörken-Kucharz