Morgenandacht
Von der Dreieinigkeit (2)
21.10.2015 06:35

Gott als Person zu denken hat Grenzen. Gott gegenüber haben Menschen dort einen blinden Fleck, wo sie die moderne Vorstellung von Person als einzig gültige auf Gott hin anwenden. Dann steht der Mensch selbst als Modell und schafft sich einen Gott nach seinem Ebenbild. Wird dieser blinde Fleck geleugnet, ist er gefährlich. Denn er lässt Menschen davon überzeugt sein, Gott sei ihrer Meinung und bestätige nur, was sie selbst schon immer für die Wahrheit halten. Fundamentalisten in allen Religionen sind dafür die besten Beispiele.

 

Die Mystiker aller Zeiten haben deshalb immer wieder kritisch nachgefragt, ob Gott nicht auch etwas Überpersonales sein könnte. Ob Gott nicht auch größer, weiter oder noch ganz anders sein könnte als ein personales Wesen. Ob Gottes Geist nicht auch als der Wind verstanden werden könnte, der weht, wo er will? Ob Gott nicht auch wie die Sonne sein könnte, die Licht in unser Leben bringt?

 

Seit 2000 Jahren werden solche Fragen als Schwärmerei und wilde Spekulation abgetan. Die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes sagt zunächst auch, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist so sehr ineinander gegenwärtig sind, dass sie in ihrer Gemeinschaft ‚eins‘ sind. Doch ihre ‚Einheit‘ ist nicht exklusiv oder abgeschlossen. Sie ist so weit offen und einladend, dass alle Geschöpfe in dieser Gemeinschaft Gottes ihren Lebensraum finden.

 

Die Bibel zeigt auch eine Vorstellung von Gott, der in allen Dingen ist. Gott umgibt uns von allen Seiten, sagt der Psalm 139. Gott ist ein Raum, in dem Menschen leben, sich bewegen und entfalten. Gott umgibt mich, wie die Luft einen Adler oder das Meer einen Fisch umgibt. Dabei ist Gott nicht das Meer, und das Meer ist nicht Gott. Natur und Gott sind nicht dasselbe. Aber es wäre auch zu wenig gesagt, dass Gott nur wie das Meer ist, als sei das Meer eben nur ein Gleichnis für Gott. Gott ist auch nicht im Meer, wie man sagen kann, dass ein Fisch im Meer ist. Aber Gott ist auch im Meer, so wie er in allen Dingen ist, auch wenn er nicht mit ihnen identisch ist. Die Mystiker reden von der ‚Einwohnung Gottes‘ in allen Dingen. Gott ist da – und bleibt dennoch ein Gegenüber.

 

In der Menschheitsgeschichte wurde zunächst der Himmel mit seinen Sternen als Wohnung Gottes angesehen. Sterndeuter und Astrologen betrachteten einen bestimmten Ausschnitt am Himmel, wo die Sterne mit ihren Konstellationen eine Art Richtschnur vorgaben, was auf der Erde gelten sollte. Dieser Himmelausschnitt war genau bemessen und abgegrenzt. Sie nannten ihn lateinisch ‚templum‘, aus dem später das deutsche Wort ‚Tempel‘ wurde. Ein Tempel war ein Stück Himmel auf Erden. So wie auch die Maße alter keltischer Steinkreise das genaue Maß eines Ausschnitts am Himmel bilden.

 

Der Tempel war der Ort der Beobachtung, der Platz des Priesters, der den Himmel schaute. Ein bestimmter Ort auf Erden, wo der Priester eine Verbindung zwischen Oben und Unten, zwischen Himmel und Erde herstellte, wo die Menschen erkennen sollten, dass göttliche und menschliche Welt zusammengehören. Wie der Tempel, so wurden auch die Kirchen im Glauben der Menschen zu Gottes Wohnung. Schon der Mönch Martin Luther meinte aber, dass man sich nicht ganz so sicher sein sollte, dass Gott in der Kirche wohnt. Er hob die alte Trennung von heiligen und weltlichen Orten auf. Fortan konnte Gott auch beim Zwiebelschneiden erfahren werden. Gott ist auch dort gegenwärtig, wo der Bauer auf dem Feld arbeitet oder der Arzt einen Menschen behandelt. Mit Luther ist es die Aufgabe eines jeden Christen, an allen Tage der Woche so zu handeln, wie er es am Sonntag in der Kirche gläubig bekennt: dass er Gott und seinen Nächsten liebe.

 

Es tut gut, dass ich Gott nicht denken kann, ohne nicht auch die ganze Welt als einen Ort zu denken, an dem ich Gott und dem Nächsten dienen soll. Das gibt mir Weite und eine Ahnung von der Tiefe göttlicher Liebe. Und weckt den Wunsch, mehr von Gott zu erkennen, jeden Tag und an jedem Ort.