Wort zum Tage
Kains beredtes Schweigen
05.08.2015 06:23

Es ist gut 2 Jahre her, dass in München ein Prozess begonnen hat, in dem die Hauptangeklagte schweigt. Seit Mai 2013 reiht sich ein Verhandlungstag an den anderen, Zeugen sagen aus, Anklage und Verteidigung kommen zu Wort. Doch von Beate Zschäpe kein Wort. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek hat ein Drama daraus gemacht, und es „Das schweigende Mädchen“ genannt. Es ist ein rechtlich mögliches Schweigen, es ist ein von den Anwälten dringend empfohlenes Schweigen. Denn es geht um Beihilfe zum Mord an 10 Menschen, die das NSU-Trio, zu dem Zschäpe gehörte, im Laufe von 10 Jahren begangen hat. Das Schweigen soll die Angeklagte davor schützen, sich weiter zu belasten. Doch es hat etwas unheimliches, dieses Schweigen. Es führt allen vor Augen, dass es schon lange vor diesem Prozess begonnen hat. Und auch lange vor der ersten Tat vielleicht.

Die Bibel ist in dieser Hinsicht sehr präzise. Schweigen und Gewalt gehen unheilige Koalitionen ein. Und das beginnt beim Brudermord des Kain. „Da sagte Kain zu seinem Bruder Abel – und als sie auf dem Feld waren, da erhob sich Kain gegen Abel, seinen Bruder und tötete ihn“ (Gen 4,8). Wir lesen, dass Kain etwas zu seinem Bruder sagte, aber nicht, was er sagte. „Lass uns aufs Feld gehen“ haben manche Übersetzer vervollständigt, doch im Text der hebräischen Bibel bleibt diese Leerstelle. „Auf die Redeeinleitung folgt ein beredtes Schweigen. Das Gespräch bricht ab, noch ehe es begonnen hat.“ Das stellt der Alttestamentler Jürgen Ebach fest.[1]

Bei Kain ist es ein doppeltes Schweigen. Er geht auch nicht auf göttliche Gesprächsangebote ein. Die beiden Brüder haben ihre Erstlingsopfer dargebracht, Kain, der Bauer, seine Erntegaben, Abel, der Hirte, von den Erstlingen seiner Schafherde. „Kain und sein Opfer sah Gott nicht gnädig an“ – erzählt die Geschichte im mythischen Tonfall. Der eine hat Erfolg, der andere nicht. „Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.“ Der Kontaktabbruch beginnt. „Warum bist du entflammt, warum entgleiten deine Gesichtszüge derart?“ fragt Gott. Kain wird nicht sich selbst überlassen und auch nicht verurteilt für seinen Frust. Er wird gewarnt: „du musst die Sünde beherrschen“. Doch er antwortet Gott nicht. Und er sagt auch zu seinem Bruder nichts. Diese Lücke, diese Leerstelle hält die Bibel extra fest. Doppelter Abbruch der Kommunikation.

Wir wissen, wie das endet zwischen Kain und Abel.

 

Im Gespräch bleiben mit Gott und mit den Menschen und den tödlichen Groll überwinden, das ist vielleicht die menschlichste Gabe, die wir empfangen haben.

 

[1] Jürgen Ebach, Beredtes Schweigen, Gütersloh 2014, S. 23