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Veteranentag
Gedanken zur Woche von Pfarrer Jörg Machel
26.04.2024 06:35
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Der Bundestag plant mit den Stimmen aus Ampel und Union, den 15. Juni zum nationalen Ve­te­ra­nen­tag zu er­klä­ren. Der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter möch­te, dass Deutsch­land „krieg­stüch­tig“ wird, man er­wägt die Wie­der­ein­füh­rung der Wehr­pflicht – soll das die Marsch­rich­tung für die­sen Ge­denk­tag sein?

Ich bin an mei­ne Ju­gend­jah­re er­in­nert. Bei der Mus­te­rung wur­den mein Kol­le­ge und ich mit der glei­chen Fra­ge kon­fron­tiert: „Sie ha­ben eine Waf­fe, Ihre Freun­din wird ver­ge­wal­tigt, was tun Sie?“ Bei ihm im Westen war der Angreifer im Fallbeispiel ein Rus­se, bei mir im Osten ein Ame­ri­ka­ner.

Bei­de ha­ben wir das fünf­te Ge­bot aus der Bibel zi­tiert: „Du sollst nicht tö­ten.“ Es war eine stan­dar­di­sier­te An­twort, um als Kriegs­­ver­wei­ge­rer be­zie­hungs­wei­se Bau­sol­dat an­er­kannt zu wer­den. Schon da­mals war mir klar, dass die­se Not­wehr­si­tu­a­ti­on nichts mit mei­ner Skep­sis ge­gen­über dem Mi­li­tär zu tun hat­te.

Wenn es um Krieg und Frie­den geht, sind an­de­re Über­le­gun­gen an­zu­stel­len. Ei­ni­ge mei­ner Freun­din­nen und Freun­de ha­ben sich in den vergangenen bei­den Jah­ren von Pa­zi­fis­ten zu Mi­li­tär­stra­te­gen ge­wan­delt. Wenn ich der Lo­gik ih­rer Ar­gu­men­te fol­ge, kann ich sie ver­ste­hen. Aber es ist die glei­che Lo­gik, die uns da­mals bei der Mus­te­rung prä­sen­tiert wur­de, mit fast glei­chen Wor­ten in Ost und West: Wer Frie­den will, muss be­reit und in der Lage sein, Krie­ge zu füh­ren.

Krie­ge fol­gen an­de­ren Ge­set­zen als dem Prin­zip der Not­wehr. Krie­ge ver­las­sen struk­tu­rell den Bo­den der Mensch­lich­keit, selbst da, wo zu­nächst al­les ein­deu­tig zu sein schien. In al­len Krie­gen ster­ben Zi­vi­lis­ten, wenn sie in die Schuss­li­nie ge­ra­ten. Das in Kauf zu neh­men, muss trai­niert wer­den. Hem­mun­gen müs­sen über­wun­den wer­den. Manch­mal ge­hört der Tod von Zivilisten so­gar ins Kal­kül ei­ner es­ka­lier­ten Kriegs­füh­rung. Dres­den und Hi­ros­hi­ma wa­ren Ver­bre­chen in ei­nem Be­frei­ungs­kampf.

Mein Ge­wis­sen verbietet mir, in ei­ner Be­fehls­ket­te zu ste­hen, in der ich die Ent­schei­dung über Le­ben und Tod an an­de­re de­le­gie­re. Aber mei­ne Be­den­ken sind auch grund­sätz­li­cher Na­tur. Ich sehe die Welt ins­ge­samt auf ei­nem ge­fähr­li­chen Kurs. Und da­bei ist nicht nur der Krieg selbst die Ge­fahr. Schon mit der Rüstung ver­schwen­den wir jene Res­sour­cen, die wir für die Sa­nie­rung un­se­res miss­han­del­ten Pla­ne­ten drin­gend brau­chen.

Ich fra­ge mich, wie so ein Ve­te­ra­nen­tag aus­se­hen soll, den uns Ampel und Union in den Ka­len­der schrei­ben. Kom­men die Af­gha­nis­tan­kämp­fer zu Wort, die Le­ben und Ge­sund­heit für mehr Mensch­lich­keit aufs Spiel ge­setzt ha­ben und nun frust­riert auf die ver­hee­ren­de Bi­lanz ih­res Ein­sat­zes zu­rück­bli­cken? Be­kom­men die Fa­mi­li­en eine Stim­me, die mit den Traum­ata ih­rer Kriegs­heim­keh­rer ir­gend­wie zu­recht­kom­men müs­sen?

Werden an so einem Veteranentag auch die aus der Armee gehört, die Fehler bei Auslandseinsätzen aufdecken? In den USA hat die Whist­leblo­we­rin Chel­sea Man­ning, selbst Mitglied des Militärs, Kriegs­ver­bre­chen der US-Army of­fen­ge­legt. Sie kam dafür ins Gefängnis, bis Präsident Barack Obama einen Großteil ihrer Strafe erlassen hat. Wird an einem Veteranentag in Deutschland auch grundsätzliche Kritik Platz haben oder geht es dann nur um wohl­klin­gen­de Dan­kes­reden?

Ich weiß um die Kraft der Wor­te. Und so macht es für mich ei­nen gro­ßen Un­ter­schied, ob Deutsch­land „krieg­stüch­tig“ oder „ver­tei­di­gungs­fä­hig“ sein will.

Der Bei­trag der Kir­chen sollte der Pro­test ge­gen alle Kriegs­rhe­to­rik sein. Jesu Wor­te er­mu­ti­gen dazu: „Se­lig die Frie­densstifter, sie wer­den Got­tes Kin­der hei­ßen. Se­lig die Sanft­mü­ti­gen, sie wer­den das Erd­reich be­sit­zen.“ (Matthäus 5,5.9)

Es gilt das gesprochene Wort.